„Sei doch einfach du selbst!“

„Sei doch einfach du selbst!“

12. Dezember 2014 1 Von Herzbrille
Rot lackierte Mittelfinger auf rotem Grund
Eine Person zeigt ihre Mittelfinger, Foto: Peggy und Marco Lachmann-Anke

Ich spreche über Queerfeindlichkeit und meine Zerissenheit zwischen Deutschland und dem Balkan. Mein Gegenüber gibt mir den Rat: „Sei doch einfach du selbst.“ Dieser Satz mag gutgemeint sein, aber er ist das Gegenteil von gut.

Liebe Menschen, die mir das sagen. Danke! Ihr habt es erfasst!
Seit ich denken kann lebe ich zwischen den Welten und bin wahrhaftig noch nie auf die Idee gekommen, dass ich einfach ich selbst sein könnte! Ich weiß auch seit einer langen Weile, dass ich bi bin und bin noch nie auf die Idee gekommen, dass ich einfach ich selbst sein könnte! Hach, jetzt wo ihr mir den Weg gezeigt habt, fühle ich mich so erleichtert: Wenn mich das nächste Mal ein Identitätskonflikt ereilt, wink ich ihm mit Freudentränchen und Taschentuch in der Hand zum Abschied und sage: Ich bin jetzt ich selbst, du kannst gehen! Wenn das nächste Mal jemand Bisexualität als Mythos abtut, sage ich: I don’t care, ich bin ja jetzt ich selbst. Wenn ich das nächste Mal durch Zagrebs Altstadt spaziere, Leute in meinem Alter kennenlerne und mich nach einer Sekunde als fremd oute, weil ich die Jugendsprache und die Codes nicht kenne und auch nicht die neuesten „Finten“, über die alle reden, dann sage ich mir: Ich bin einfach ich selbst und das Gefühl der Entwurzelung wird gehen. Von alleine.

Aber nein, so was geht nicht weg, wenn ich mit dem Gedanken durch die Welt marschiere, dass ich „ich selbst bin“. Manchmal kann dieser Gedanke hilfreich sein, wenn z.B andere von mir erwarten mich einzuordnen. Aber wenn ich von Problemen erzähle, mich über BiErasure in der queeren Szene beklage, wenn ich euch postmigrantische Identitätskonflikte anvertraue und Gefühle von Entwurzelung, dann haltet euch verdammt noch mal zurück mit euren Ratschlägen! Wenn ich nicht nach einem weisen Rat frage, will ich davon auch nichts hören, dann will ich mich meistens nur mitteilen. Ich will vorallem keine Ratschläge, wenn ihr in den Bereichen, die ich angesprochen habe, privilegiert seid. Dass ihr privilegiert seid heißt nicht, dass ihr keine Probleme habt, dass ihr nicht gute Ideen haben könnt, aber wenn ihr helfen wollt, dann fragt mich doch einfach, was ich gerade brauche: Vielleicht brauch ich einfach nur ein offenes Ohr! Behaltet dabei im Kopf, dass ihr privilegiert seid und was das heißt: Dass es für euch in bestimmten Lebensbereichen einfacher ist ihr selbst zu sein. Wenn mir eine heterosexuelle Person sagt „Also, wenn ich bi ware, ich würde da einfach drauf scheißen und ich selbst sein“, dann finde ich das krass herablassend!
Wenn du bi wärst. Du bist aber nicht bi! Und wenn du es wärst könnte es sein, dass du da wirklich drauf scheißen würdest, es könnte aber auch sein, dass du ähnliche Probleme hättest oder noch noch ganz andere. Du bist es jedenfalls nicht und allein das macht einen großen Unterschied mit welchen Erfahrungen du durch die Welt marschierst. Als heterosexuelle Person bist du sicherlich selten mit deiner Heterosexualität in Konflikt gekommen, und weißt nicht wie es ist zu hetero für Queers und zu queer für Heteros zu sein. Klar, du kannst auch als privilegierte Person zuhören und empathisch sein, ein Ratschlag wie „Sei doch einfach du selbst“ zeugt allerdings nicht gerade von Empathie. Stell dir vor, darauf bin ich auch schon gekommen, ganz alleine! Vielleicht geht das aber nicht. Vielleicht geht dieser Ratschlag an meinen Problemen vorbei. Vielleicht hörst du dich nur selber gerne reden.

In jedem Ratgeber darüber wie man anderen hilft, z. B. Angehörigen mit Depressionen, steht: Regel Nummer 1, gebe niemals ungefragt Ratschläge – das kann man durchaus auch auf andere Bereiche ausweiten. „Aber, dann kann ich ja gar nichts sagen!“ Nein. Ihr könnt mich z. B. fragen, ob ich darüber schon mal mit anderen Bisexuellen/Post-Migrant_innen etc. geredet habe, ihr könnt mich fragen, ob ich schon eine Idee habe, wie ich mit dem Problem umgehen könnte und mit mir brainstormen, ihr könntet eine Idee äußern wie: „Meinst du, es könnte helfen, wenn du die Person darauf ansprichst, dass das sexistisch war?“ oder auch ein: „Ich kann dazu nichts sagen“. Alles ist besser als eine Glückskeks-Weisheit wie: „Mach dir nicht so viele Gedanken und sei einfach du selbst!“. So fühle ich mich alles andere als ernst genommen und zudem spielt ihr euch auf, als hättet ihr die Weisheit mit Löffeln gefressen. Ihr meint wirklich, dass wenn ich mir weniger Gedanken darum mache, dass ich mich entwurzelt und heimatlos fühle, ich weniger entwurzelt und heimatlos bin? Dann denke ich weniger darüber nach, fühle mich aber trotzdem scheiße. Und aus Verdrängung kann nichts wachsen.

Vielleicht habt ihr noch nicht verstanden, warum ich mich so aufrege und wieso eure gut gemeinten Ratschläge so schnell zu Bullshit werden können. Ich versuche es mit einem Beispiel zu verdeutlichen: Neulich war ich mit Freund*innen unterwegs und habe einen Deutsch-Serben getroffen. Erst zögerte ich mit ihm auf Kroatisch/Serbisch/Bosnisch (kurz: Naški für „unsere Sprache“) zu reden, doch sobald ich feststellte: Er hat ja die gleichen Gramatikprobleme, war das Eis gebrochen. Wir haben uns eine Stunde lang auf Naški unterhalten, obwohl die Kommunikation auf Deutsch leichter gewesen wäre. Aber wir teilten wohl dieses Bedürfnis, sprachen über Lieblingsbands, Familie, Ex-Yu-spezifische sowie postmigrantische Themen.

Als sich der Deutsch-Serbe von mir und meinen Freund*innen verabschiedete, sagte er auf deutsch mit einem betrunkenen Augenzwinkern: „Mich akzeptieren beide Kulturen nicht! Aber dann bin ich halt ich selbst!“ Nach diesem Satz stupste mich einer der anderen in der Truppe an, der über meine Probleme Bescheid weiß. Die Geste sollte etwas signalisieren wie: „Schau mal, der macht’s richtig!“ Er kann kein Naški und hat von unserem Gespräch nichts mitbekommen. Er hat nicht gehört, wie der Deutsch-Serbe, der etwas älter ist als ich und somit medial mehr vom Jugoslavienkrieg mitgekriegt hat, mir anvertraut hat, was das bei ihm ausgelöst hat, wie er mitbekommen hat, dass aus Freunden plötzlich Feinde wurden, oder wie er Streit mit seinem Lehrer hatte, der ihm erklären wollte, „was da unten gerade abgeht“. Er hat nicht mitbekommen, wie wir darüber gesprochen haben, dass es schwierig ist sich zu vernetzen, weil Jugos als Minderheit unsichtbar und von Nationalismus zersplittert sind oder, dass Jugos zur Model-Minority (solange weiß, Mittelschicht und christlich) gemacht werden. Und vorallem hat er das Gefühl, das uns an dem Abend verband, nicht mitbekommen, wie angenehm es war, über Lieblingsmusik aus Ex-Yu zu reden ohne als Nostalgiker_innen abgestempelt zu werden, wie angenehm es war nebeneinander zu sitzen mit ähnlichen Fragezeichen über den Köpfen was Ex-Yu-politische Angelegenheiten betrifft. Das einzige, was er mitbekommen hat war „Aber dann bin ich halt ich selbst“.

Dabei war er nicht „einfach er selbst“, einfach klang davon jedenfalls wenig. Mit dem Anstupsen meinte mein Freund wohl mir einen Denkanstoß gegeben zu haben. Was mir wirklich Denkanstöße gegeben hat war das Gespräch mit dem Deutsch-Serben. Die Geste „Schau mal, der macht’s richtig“, hat mich nur enttäscht, denn abgesehen davon, dass sein Paradebeispiel eines Jugos, der einfach er selbst ist, nicht funktioniert hat, ist es der Klassiker von Tokenism: Schau mal, ein Postmigrant hat keine Probleme damit, also brauchst du auch keine Probleme damit haben! Schau mal, eine Bisexuelle geht so und so mit Biphobie um, also geh du auch so damit um! Schau mal, eine Frau lacht über sexistische Witze, also lach du auch darüber! Schön für die, aber ich bin ich! Und ich soll ja „ich selbst“ sein, nicht wahr? Da ihr so auf weise Sprüche steht, hier einer von mir: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.