Weiße Migrant*innen und Rassismus

Weiße Migrant*innen und Rassismus

21. Januar 2018 0 Von Herzbrille
Bild: OpenClipart-Vectors

Unter dem Hashtag #reichenhetze twittern User*innen, darunter auch weiße Migrant*innen, über ihre Rassismuserfahrungen. Doch die Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus hört für uns weiße Migrant*innen hier nicht auf, sondern fängt gerade erst an!

Auslöser für den Hashtag war der Auftritt von Sebastian Kurz bei Maischberger: Er hatte sich über die „linke Hetze“ gegen Wohlhabende aufgeregt. Mit dem Hashtag #reichenhetze machen User*innen darauf aufmerksam, was Diskriminierung und Rassismus tatsächlich bedeuten.

Mir ist aufgefallen, dass auch viele weiße (Post-)Migrant*innen, Slaw*innen und Jugos, wie ich selbst, den Hashtag nutzen, um über Diskriminierungserfahrungen zu schreiben. Grundsätzlich ist daran nichts verkehrt. Ich habe selbst solche Tweets und 2013 sogar einen Blogpost zum Thema verfasst. Heute bin ich aber um einige Erfahrungen reicher und sehe die Sache differenzierter. Nicht selten war mein Eindruck, dass weiße Migrant*innen schnell dabei sind von negativen Erfahrungen zu erzählen und sich über Almans lustig zu machen. Reden wir jedoch allgemeiner über Rassismus, hab ich schon mehrfach mitbekommen wie die Bereitschaft zur Reflexion fehlte.

Beispiel: Eine Bekannte aus Ex-Jugoslawien sagte vor kurzem in einer Gesprächsrunde ziemlich fiese Sachen gegen Geflüchtete. Jemand erinnerte sie daran, dass auch viele Jugos Flüchtlinge waren (oder sind). Daraufhin sagte sie: „Aber immerhin sind wir Europäer und nicht wie diese Moslems!“ Jemand erinnerte sie daran, dass vor allem Muslim*innen aus Bosnien fliehen mussten. Ihre Antwort darauf war: „Ja, aber bei uns wird der Islam viel liberaler praktiziert!“ Mit ihrem eigenen antimuslimischen Rassismus hatte sie sich offenbar nicht beschäftigt.

In einer anderen Situation hielt ich eine Rede gegen den Integrationszwang. Ich erwähnte darin, dass Mehrheitsdeutsche oft ein Bild von „den Migranten“ als einheitliche Gruppe haben. Hinterher wurde ich von einer Mazedonierin angesprochen: „Das stimmt! Wir sind gar nicht so wie diese… (abfälliger Ton) Türken!“ Sie schien nicht zu bemerken, was an dieser Aussage problematisch war.

Ich möchte deshalb daran erinnern, dass selbst als migrantisierte Person betroffen zu sein nicht bedeutet nicht diskriminierend und rassistisch sein zu können. Mein Appell an alle weißen, christlichen und/oder europäischen Post_Migrant*innen: Hinterfragt eure eigenen rassistischen Vorurteile und, wo ihr von eurem Weißsein profitiert (Stichwort „guter Ausländer“ oder „Model Minority“). Ich lese eure Tweets AND I FEEL YOU! Aber bei der eigenen Erfahrung hört die Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus für uns nicht auf, sondern da fängt sie gerade erst an!

Bei Hashtag-Aktionen dieser Art sollten wir uns immer zuerst fragen, ob unsere Erfahrungsberichte gerade angebracht sind. Geht es spezifisch um die Lebensrealitäten von z. B. Schwarzen Menschen oder Muslim*innen? Dann ist es solidarischer diese Stimmen zu stärken anstatt unsere Erfahrungen drüber zu kippen. Für uns gibt es genügend andere Gelegenheiten, um über Diskriminierung wie Antislawismus zu sprechen, ohne dabei marginalisierten Gruppen den Raum zu nehmen.

Wir weißen, nicht-muslimischen Migrant*innen und Migrant*innen-Kinder dürfen nicht nur den Mund aufmachen, wenn es um unsere Diskriminierungserfahrung geht. Wir müssen ebenso unsere eigenen Privilegien und rassistischen Gedankenmuster reflektieren und uns solidarisch mit Muslim*innen, Rom*nija, Indigenen und Schwarzen Menschen sowie allen anderen People of Color zeigen. Eine gute Lektüre für den Anfang ist „Deutschland Schwarz Weiß“ von Noah Sow.


Dieser Beitrag war ursprünglich ein Twitter-Thread, den ich für meinen Blog redigiert und in Teilen umgeschrieben sowie verlängert habe. Den Twitter-Thread findet ihr hier.