Was ist Bifeindlichkeit?

Was ist Bifeindlichkeit?

20. Dezember 2020 2 Von Herzbrille

Bifeindlichkeit bezeichnet die spezifische Diskriminierung gegen bisexuelle Menschen. Wenn es um dieses Thema geht, werden oft nur die Vorurteile aufgezählt: Wir gelten als untreu, unentschlossen, feige, unreif etc. Diese Klischees sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Seltener wird darüber geredet, was sich unterhalb der Oberfläche abspielt. Um dem etwas entgegenzusetzen, habe ich die verschiedenen Aspekte von Bifeindlichkeit für BiBerlin e. V. in einer Infografik zusammengefasst. Die PDF-Datei und die Fotos1 stelle ich hier zur Verfügung. Zusätzlich werde ich die einzelnen Punkte kurz erklären und weiterführende Lesetipps sammeln. Los geht’s!

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1) Misogynie gegen Bi+Frauen

Bi+Frauen erleben eine sehr spezifische Form von Misogynie und Fetischisierung. Man kann sie sich als Mischung aus sexistischem Anspruchsdenken (z. B. die Annahme Bi+Frauen seien immer sexuell verfügbar und Liebe zwischen Frauen dazu da männliche Bedürfnisse zu befriedigen) und fragiler Männlichkeit (z. B. wenn Männer die Bisexualität ihrer Partnerin als Bedrohung für die eigene Männlichkeit wahrnehmen) vorstellen, gepaart mit dem daraus resultierenden übergriffigen Verhalten. Vor dem Hintergrund dieser bi+spezifischen Misogynie kann man womöglich besser verstehen, weshalb Bi+Frauen häufiger sexuelle und häusliche Gewalt erleben als heterosexuelle und lesbische Frauen.


Quellen und Lesetipps:

2) Geringere Chancen auf Asyl

Wahrscheinlich wissen viele nicht, dass nicht-monosexuelle Menschen, verglichen mit Schwulen und Lesben, geringere Chancen auf Asyl haben, wenn sie aufgrund queer-feindlicher Verfolgung fliehen müssen. Das liegt einerseits am fehlenden Wissen der Behörden und andererseits an der Vorannahme Bisexuelle hätten immer „die Wahl“ heteronormativ zu leben – ungeachtet ihrer tatsächlichen Lebensrealität. Es ist wichtig zu erwähnen, dass LGBTIQ-Personen allgemein solche Hürden beim Asylverfahren erleben: Betroffenen wird oft das Queersein abgesprochen und sie werden in eine Position gebracht ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität beweisen zu müssen. Die Strukturen sind ganz klar queer-feindlich und rassistisch. Der Unterschied bei Bisexuellen ist jedoch, dass sie an diesen Hürden fast nur scheitern können: Sie gelten ja selbst unter Queers nicht als „queer genug“.


Quellen und Lesetipps:

  • Zeynab Peyghambarzadeh (ILGA Europe, 2019): Why are bisexual asylum seekers almost completely invisible?
  • Sean Rehaag (The International Journal of Human Rights, 2009): „Bisexuals need not apply“: a comparative appraisal of refugee law and policy in Canada, the United States, and Australia.

3) Bisexual Erasure und psychische Gesundheit

Das bringt mich zu dem nächsten Punkt: Bisexual Erasure, die Unsichtbarmachung von Bisexualität. Dazu habe ich früher schon mal gebloggt. Bisexual Erasure bedeutet zum einen, dass konkreten Personen abgesprochen wird wirklich bi+, pan, ply, omni etc. zu sein. Zum anderen wird auch allgemein die Existenz von Bisexualität immer wieder angezweifelt, insbesondere die Existenz von männlicher Bisexualität.

Nicht-monosexuelle Menschen werden außerdem oft aus der LGBTIQ-Community ausgeschlossen oder fühlen sich in ihr nicht gänzlich willkommen. Die Rolle Bisexueller in der LGBTIQ-Bewegung wird zur Randnotiz in queeren Diskursen oder bleibt gänzlich unerwähnt. (Na, hast du schon mal von Brenda Howard gehört?) Im Hetero-Umfeld erleben viele Bisexuelle hingegen Homofeindlichkeit und finden sich letztlich in einer Position zwischen den Stühlen: Zu queer für die Heten, zu hetero für die Queers. Dieser bi+spezifische Minderheitenstress ist sicherlich einer der Gründe, weshalb Bisexuelle ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen haben, verglichen mit Hetero- und Homosexuellen.


Quellen und Lesetipps:

  • Kim Ritter, Heinz-Jürgen Voß (Schmetterling Verlag, 2019): Being Bi – Bisexualität zwischen Unsichtbarkeit und Chic.
  • Kate Harveston (Please Live Blog, 2019): How Bisexual Erasure Impacts Mental Health in Bisexual Individuals.
  • Sabra L. Katz-Wise, Ethan H. Mereish, Julie Woulfe (Journal of Sex Research 54, 2017): Associations of bisexual-specific minority stress and health among cisgender and transgender adults with bisexual orientation.
  • Kenji Yoshino (Stanford Law Review, 52 (2), 2000): The Epistemic Contract of Bisexual Erasure.

4) Stigma

Bisexualität ist mit einem Stigma behaftet und dieses hat mehrere, hässliche Gesichter. Häufig werden Bisexuelle als promiskuitive Verbreiter von HIV und STIDs gesehen. Nicht-monosexuelle Männer werden dafür stigmatisiert Geschlechtskrankheiten in die Hetero-Welt reingetragen zu haben. Auch Bi+Frauen kennen den Vorwurf HIV und STIDs in lesbische Communitys gebracht zu haben. Dieses Stigma erschwert es nicht nur offen über Sexualität zu sprechen, sondern auch über HIV und STIDs. Der Zugang zu Präventions- und Hilfsangeboten wird dadurch sicherlich nicht niedrigschwelliger oder einfacher.

Ein anderer Aspekt, der oft übersehen wird, ist die Pathologisierung von Bisexualität. Obwohl das zurecht als veraltet gilt, taucht Bisexualität noch immer in Diagnoselisten als Symptom für Sexsucht, Borderline oder Narzisstische Persönlichkeitsstörung auf oder wird von einigen Ärzt*innen und Therapeut*innen weiterhin als Symptom aufgefasst. Bisexuelle, die tatsächlich eine dieser Diagnosen haben, sind somit doppelt stigmatisiert.


Quellen und Lesetipps:

  • Sunnivie Brydum (HIV Plus Magazine, 2019): Bisexual Men Aren’t ‚Spreading HIV‘.
  • Charlotte Dingle (TheFword, 2015): My sexuality is not a psychiatric symptom – it’s just who I am.

Und nun?

Jetzt, wo wir wissen, was Bifeindlichkeit alles ausmacht, lautet die Frage: Was folgt daraus? Wie sich unschwer erkennen lässt, sind fast alle von mir gesammelten Quellen und Lesetipps auf Englisch. Die aufgeführten Studien beziehen sich zudem nicht auf die Situation in Deutschland, sondern schwerpunktmäßig auf die USA. Vergleichbare Studien für Deutschland fehlen fast komplett. Um politisch etwas zu verändern, sind sie allerdings sehr notwendig: Als Bi+Aktivist*innen im deutschsprachigen Raum kennen wir zwar viele Beispiele für bifeindliche Diskriminierung, die wir entweder selbst erlebt haben oder Erfahrungsberichten entnehmen können. Doch ohne konkrete Fakten und Zahlen lassen sich schwerer Strategien entwickeln.

Was ist also zu tun? Eine Idee, was Politiker*innen, Forscher*innen und LGBTIQ-Aktivist*innen tun können, ist die bisexuellen Vereine in Deutschland zu unterstützen und eine Kooperation hinsichtlich Forschung und Antidiskriminierungsarbeit anzubieten. Folgende Vereine gibt es: BiNe Bisexuelles Netzwerk e.V. (bundesweit), Uferlos e. V. (Köln) und BiBerlin e. V. (Berlin). Außerdem wäre es begrüßenswert, wenn auch mehr queere Vereine und Verbände ohne Bi+Schwerpunkt das Thema mit auf die Agenda nehmen: Nicht als Erwähnung oder Randnotiz, sondern als einen eigenen Kompetenzbereich. Allein das wäre schon ein guter Schritt gegen Bisexual Erasure.


Bilder zur freien Benutzung

Infografik: Was ist Bifeindlichkeit? (hochkant)

Bild 1 von 3

Infografik zum Thema Bifeindlichkeit. Zu sehen ist ein Eisberg. In der Spitze stehen die Vorurteile gegen Bisexuelle geschrieben, unter der Oberfläche sind verschiedene Aspekte der Diskriminierung aufgeführt, z. B. Bisexual Erasure und gegen Bi+Frauen gerichtete sexualisierte Gewalt.