Bi+Pride: Sichtbarkeit ist gut, Konfrontation ist besser!

Bi+Pride: Sichtbarkeit ist gut, Konfrontation ist besser!

10. November 2021 1 Von Herzbrille

Die Bi+ Community feierte dieses Jahr einen historischen Moment: Zum ersten mal fand in Deutschland ein bi+spezifischer CSD statt! Aber erst Monate später ist mir so richtig bewusst geworden, warum die Bi+ Pride in Hamburg ein so kraftvoller Moment war.

BiBerlin bei der Bi+ Pride in Hamburg. Foto: Stefan KabuQQi

Noch lange nach der Bi+Pride in Hamburg fühlte ich mich wie elektrisiert. Der erste bi-spezifische CSD Deutschlands und ich war dabei! Schulter an Schulter mit Menschen der Bi+ Community lief ich am 25. September 2021 durch die Hamburger Innenstadt, fühlte mich so richtig am Platz wie selten auf großen CSDs und hatte bei mehreren Gelegenheiten Tränchen in den Augen vor Rührung. Doch erst später begriff ich tatsächlich, warum diese Demonstration so wichtig und auch kraftvoll war.

Um genau zu sein vor ein paar Tagen, als ich ein Video-Essay des Youtubers James Somerton sah. Es heißt „Video Games and the Choice to be Gay“ und behandelt queere Repräsentation in der Gaming-Industrie. Videospiele, bei denen sich Spieler*innen die sexuelle Orientierung ihres Charakters aussuchen können, sind inzwischen gang und gäbe. Für queere Gamer*innen mag die Option zwar toll sein, allerdings ist diese Form von Repräsentation für alle nicht queeren Spieler*innen sehr leicht zu ignorieren. James Somerton findet: Wirkungsvoll wird Repräsentation erst, wenn die Queerness für alle Beteiligten deutlich wird – ob sie wollen oder nicht. Sein Hauptargument ist: Sichtbarkeit bringt wenig, wenn sie nicht auch mit Konfrontation einhergeht.

Was hat das alles mit der Bi+Pride zu tun? Durch den Ausflug in die Welt der Computerspiele fühlte ich mich plötzlich an all die mühseligen Kämpfe der Bi+ Community erinnert, sowohl in der Mehrheitsgesellschaft als auch in der LGBTIQA*-Szene gesehen zu werden. Ich bin bei BiBerlin e. V. aktiv und weiß deshalb: Es gibt kaum ein Berliner Queer-Event, bei dem dieser Verein nicht mitmischt. Ob wir unsere riesige Bi-Flagge auf CSDs ausbreiten oder beim lesbisch-schwulen Stadtfest im Nollendorfkiez mit einem Stand vertreten sind – wir tun alles, was wir können, um sichtbar zu sein. Leider fühlt sich das viel zu oft wie Sisyphos-Arbeit an. Denn egal wie sichtbar wir sind, es bleibt viel zu einfach, uns zu ignorieren: So gut wie nie wird in der medialen Berichterstattung über queere Events der Beitrag der Bi+ Community erwähnt. Sichtbarkeit allein führt nicht dazu, dass LGBTIQA*-Organisationen bi-spezifische Belange wie die Gewalt gegen Bi+ Frauen mit auf ihre Agenda nehmen. Wir mögen noch so unermüdlich mit den Fähnchen wedeln, die bisexuelle Vorreiterin und „Mother of Pride“ Brenda Howard wird deshalb nicht häufiger in der queeren Erinnerungskultur gewürdigt.

Woran liegt das? Der Kern von Bifeindlichkeit ist die Negierung und Delegitimierung von Nicht-Monosexualität, und das manifestiert sich auch in der aktivistischen Arbeit: Weil Bisexualität nicht ernstgenommen wird, gilt auch Bi+ Aktivismus als irrelevant. Die Bi+Pride Hamburg hat etwas geschafft, was bei diesen Grundvoraussetzungen gar nicht so selbstverständlich ist: Konfrontation.

Am 25. September war es in Hamburg ziemlich schwierig zu ignorieren, dass die Bi+ Community für ihre Rechte und Anerkennung demonstriert. Passant*innen haben Reden über nicht-monosexuelle und nicht-monoromantische Lebenswelten gehört und auf Schildern Parolen gegen Bifeindlichkeit gelesen. Wir waren nicht das leicht zu übersehende Extra beim CSD – nein, an diesem Tag waren wir mit unseren rund 500 Demonstrierenden im Mittelpunkt! Wer über die Demo berichtete, hatte keine andere Wahl als sich mit Bi+ und Pansexualität zu beschäftigen. Alle Redner*innen, auch die Politiker*innen, die sonst völlig andere Themenschwerpunkte haben, kamen explizit auf Bisexualität zu sprechen. Und selbst die Queers, die in der Hamburger LGBTIQA*-Community aktiv sind und sich kaum um das B scheren, werden zumindest von der Bi+ Pride gehört haben.

Begegnung mit einem Einhorn. Foto: Stefan KabuQQi

Es war ein besonderer Moment, als ich auf dem Weg zur Demo einem Einhorn begegnete: Ein kostümierter Mensch, der für die Aidshilfe Hamburg Präsenz zeigte, hieß mich und meine Bezugsperson willkommen und erklärte uns den Weg zum Startpunkt der Demo. Dass eine nicht bi-spezifische, queere Initiative über die Bi+Pride Bescheid wusste, kam mir sehr seltsam vor. Erst in diesem Moment stellte ich fest, wie selten ich erlebt habe, dass jemand außerhalb der Bi+ Bubble über bi-spezifische Strukturen, Events und Themen informiert war.

Als ich später bunt beflaggt die Demo-Route entlanglief, öffneten plötzlich Hausbewohner*innen ihre Fenster und warfen Glitzer in die Menge. Es fühlte sich ebenso schön wie ungewohnt an: Bi+ Menschen werden oft darauf reduziert Allies von queeren Kämpfen oder „Tourist*innen“ in der queeren Community zu sein, so als seien wir selbst nicht betroffen. Doch an diesem Tag waren wir diejenigen, die Solidarität brauchten und denen Glitzer auf den Weg gestreut wurde.

Am Nachmittag saß ich mit Laptop in einem Café, um meinen Demo-Bericht für Neues Deutschland fertig zu schreiben. Dort schnappte ich Gesprächsfetzen auf: Gäste fragten sich, was das für eine Demonstration sei. Der Kellner antwortete, es wäre ein CSD, und heute würden „die Bisexuellen“ protestieren. Damit war das Thema auch schon durch – sie sprachen noch ein bisschen über Diskriminierung im Allgemeinen, ehe sie sich anderen Dingen zuwandten. Trotzdem blieb ich mit einem Gefühl der Verwunderung darüber zurück, mit welcher Selbstverständlichkeit über die Bi+ Pride gesprochen wurde.

Wenn mir die Bi+ Pride in Hamburg also eine Frage beantwortet hat, dann wie Bi+ Aktivismus in Zukunft aussehen sollte, um wirklich fruchtbar zu sein: Wir brauchen mehr solcher Momente, die nicht nur Sichtbarkeit, sondern auch Konfrontation schaffen. Es ist toll, wenn wir uns als Bi+ Community bei queeren Events, Social-Media-Aktionen, in Filmen oder – um den Bogen zurückzuschlagen, in Videospielen repräsentiert sehen. Aber es geht nicht nur darum, dass wir uns selbst gespiegelt sehen und dadurch empowert fühlen. Es geht auch darum, dass wir von anderen gesehen werden. Und da sowohl die Mehrheitsgesellschaft als auch die LGBTIQA*-Community dazu neigt, uns aktiv zu übersehen, müssen wir es für beide Seiten schwieriger machen, uns zu ignorieren.

Anstatt uns damit zufrieden zu geben, auch mal erwähnt zu werden, sollten wir uns den Raum einfordern, den bi-spezifische Belange brauchen: Bisexual Erasure, das erhöhte Risiko als Bi+ Person psychisch zu erkranken, die Tatsache, dass sich vor allem Bi+ Männer selten outen, das durch bifeindliche Vorurteile verstärkte HIV-Stigma, die Hypersexualisierung von Bi+ Frauen, die Hürden, die bisexuelle Geflüchtete überwinden müssen… all das ist nicht harmlos, und halbherzige Erwähnungen von Bi+ und Pansexualität werden diesen Problemen nicht gerecht.

Person mit Demo-Schild, auf dem steht: „Bisexuals are just confused by your ingorance“, Foto: Stefan KabuQQi

Die Bi+ Pride hat einen wichtigen ersten Schritt gemacht, um daran etwas zu ändern. Die Demonstration hat mir aber nicht nur gezeigt, wie sich Bi+ Aktivismus weiterentwickeln könnte, sondern auch, dass wir in einigen Fragen ähnliche Herausforderungen und Debatten haben wie auch andere queere Communitys und CSDs. Wie auch immer die Zukunft
der Bi+ Pride aussehen mag, es ist wichtig zu prüfen, wessen Stimmen wir als Bi+ Community verstärken, wie intersektional und divers wir tatsächlich sind, wer sich repräsentiert fühlt und wer nicht. Damit wir, die zurecht
Unsichtbarmachung in der LGBTIQA*-Community kritisieren, nicht die gleichen Fehler wiederholen, wenn es um die Inklusion von BIPOC, (Post-)Migrant*innen, Geflüchteten, bi+ Aces und Aros oder inter* und trans* Personen geht.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen im BiJou Magazin #38