Mehrfachverknotet im Empowerment-Workshop
Ich habe letztes Wochenende an einem anti-sexistischen FLT*I-Selbstbehauptungs-Workshop teilgenommen. Neben dem positiven Gefühl im Bauch, neue Handlungsspielräume erarbeitet und gefunden zu haben, befand ich mich wieder in einem Dilemma: Postmigrantischer Identitätskonflikt meets anti-sexistische Strategie. Während des Workshops kam der Moment, wo ich den Erfahrungsschatz der Teilnehmenden nicht mehr anzapfen konnte – denn die Gruppe war bis auf eine Ausnahme weiß und mehrheitsdeutsch. Das war der Moment, wo ich mir klar machen musste, warum bestimmte Dinge für mich nicht funktionieren.
Wir spielten ein Rollenspiel: Wir sollten uns eine sexistische Situation überlegen, die wir schon mal erlebt haben. Jede_r sollte selbst den Macker aus ihrem_seinem Erlebnis spielen. Ich hab also einen 50-jährigen Künstler aus Mazedonien gespielt und die anderen aus der Gruppe mich, um so Strategien zu sammeln. Das Szenario war: Ich, also Ich-ich, sitze mit dem Typen tagsüber im Café in Skopje, ich kenne ihn über meinen Vater – eine Vertrauensbasis ist da. Er will mir später Skopjes Nachtleben zeigen und mit mir durch die Stadt spazieren. Als wir unseren Kaffee trinken, beginnt er mein Aussehen zu bewerten: „Dein Gesicht ist charismatisch, hat was, aber deine Figur… ein bisschen zu dick. Sind halt die Gene, kannst nichts machen.“ Ich fühl mich in die Ecke gedrängt, verletzt, denke: Was nimmt der sich heraus meinen Körper zu bewerten? In der realen Situation bleibe ich in der Defensive und fühle mich klein. Als er mein Unwohlsein bemerkt, sagt er: „Entspann dich mal ein bisschen, sei nicht so typisch-deutsch!“ Gemeint ist: Denk doch nicht, dass ich dir was Böses will – sei nicht so reserviert wie die Deutschen.
In dem Rollenspiel stellte ich das nach. Eine weiß-deutsche Person, die mich spielt, sagt auf mein: „Entspann dich mal, sei nicht so typisch-deutsch“ „Dein Verhalten ist so altmodisch, so machohaft! So 50er Jahre!“ In dem Moment dachte ich: STOP! Ich würde niemals auf die Idee kommen so etwas zu sagen! Ihn als altmodisch, als 50er Jahre Macho zu bezeichnen, würde nicht nur das Bild vom Balkan als rückständig verstärken, oder das Klischee vom südländischen Macho in Abgrenzung zum westeuropäischhen, weißen, „aufgeklärten Mann“. Ich würde mich auf diese Weise auch von ihm und von Mazedonien mehr distanzieren als mir lieb ist. Ich würde damit bestätigen, dass ich so „typisch-deutsch“, so unentspannt bin, wenn ich ihm gleich so einen Vowurf an den Kopf knalle. Dabei wünsche ich mir doch in Mazedonien akzeptiert zu werden und Anschluss zu finden.
Ich würde mich außerdem mit meiner Position als in Deutschland aufgewachsene, weiße Person über ihn stellen. Er geht nicht immer als weiß durch, vor allem nicht in Švaboland. (Švabo, eig. „Schwabe“, umgangssprachlicher, oft abwertender Begriff für Deutsche) Kurz vorher hat er mir erzählt wie er auf der Autofahrt nach Deutschland Racial Profiling erlebt hat. Es ist eben ein Unterschied, ob ich ihm mit meiner sozialen Positionierung 50er Jahre Machismus vorwerfe oder einem weiß-deutschen Uniprof. Sexismus mit Rassismus bekämpfen? Nein!
Weiß-deutsche Feministinnen können mir zwar Strategien zeigen, wie ich mir Raum zurück hole: Ich kann z. B den Spieß umdrehen, anfangen sein Aussehen zu bewerten und ihn so irritieren. Aber wenn so ein rassistischer Fail passiert, muss ich reagieren, sonst scheint ihn keine_r zu bemerken. Die Überlagerung von erlebtem Sexismus, Identitätskonflikten und meiner Positionierung als weiße Person kann ich nicht einfach auflösen. Die Dinge sind verwoben und geschehen gleichzeitig. Stichwort: Intersektionalität. Das ist der Punkt, wo ich nicht weiterkomme. In der Realität hab ich ihm erklärt, warum es mich verletzt, wenn er mich „typisch deutsch“ nennt. Ich war wieder in der Defensive und glaube, er hat das nicht so wirklich verstanden. Das ist der Punkt, wo ich in einer fast auschließlich mehrheitsdeutschen Empowerment-Gruppe niemandes Erfahrungswissen anzapfen kann. Das ist der Punkt, wo ich Menschen brauche, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, wo ich Postmigrant_innen kennenlernen muss.
Bei einer anderen Übung im Empowerment-Workshop, als ich von einigen Problemen mit meinem Vater erzählte, schlug jemand sofort Kontaktabbruch vor. Warum geht ihr davon aus, dass Kontaktabbruch für jede_n eine Option ist? Mag sein, dass in Švaboland – sofern eins nicht finanziell von den Eltern abhängig ist, Kontaktabbruch schnell in Erwägung gezogen ist. In meiner Familie ist das die allerletzte Option. Mein Eindruck ist, dass das in Ex-Jugoslawien auch eher die Option ist, wenn wirklich alle Stricke reißen. Weil es vielleicht doch noch so etwas gibt wie den Zusammenhalt der Familie? Ich bin für deutsche Großstadt-Verhältnisse ein sehr familiärer Mensch, während mir zuhause vorgeworfen wird, meine Familie zu vergessen.
Ich weiß nicht, ob dieser Text eine Kritik an dem Workshop sein soll. Denn ich weiß, die Organisatorinnen können nicht an alle Kulturunterschiede denken, die es gibt. Ich weiß, ich kann von den Organisatorinnen nicht erwarten sich mit post_migrantischen Problemen auszukennen. Oder Ex-Jugoslawien. Mehrfachdiskriminierung und Mehrfachzugehörigkeiten haben wir zumindest theoretisch besprochen…
Wenn es eine Kritik gibt, dann eher eine generelle: Warum sind linke Workshops so weiß und mehrheitsdeutsch? Warum ist die Szene so weiß und mehrheitsdeutsch? Was würd ich dafür geben, dass eine Person in einem Workshop wie diesem sitzt und sagt: „Das Gefühl kenne ich“.