Immerhin hab ich das Semesterticket!
„Freuen Sie sich aufs Studieren,“ sagte die Frau vom Jobcenter, als ich frisch nach dem Abi bei ihr landete: „Es wird die schönste Zeit Ihres Lebens.“ Ähnliches hörte ich auch von Freund_innen und Verwandten. Ich freute mich tatsächlich darauf, immerhin wurde sie mir von allen Seiten schmackhaft gemacht. Die Leute bezogen sich dabei nicht auf Ermäßigungen oder das Semesterticket, sondern auf diese ach so freie – nein, die freieste Form des Lernens, auf die unzähligen Perspektiven, die sich ergeben würden, blablabla.
Meine Erwartungen an die Universität waren bescheiden. Ich dachte, in einem Seminar geht es in erster Linie ums Lernen, darum eine Atmosphäre zu schaffen, in der jede_r seine_ihre Ideen und Probleme einbringen kann und hoffentlich mit dem Gefühl rauskommt: „Geil, ich hab was kapiert, ich hab einen Zusammenhang erkannt, ich habe die und die Fragen gefunden, die ich spannend finde…“
STATTDESSEN: Jede Menge akademischer Szene-Codes. Wer drückt etwas verschwurbelter aus? Wer macht mehr Namedropping? Wer kennt die richtigen Schlagwörter? Wer hat Marx gelesen? Aus meiner Motivation mich an Seminaren zu beteiligen, wurde zurückhaltendes in der Ecke Sitzen, weil ich mich nicht dumm fühlen wollte.
Ich bin Mittelschichtskind und als solches in vielerlei Hinsicht privilegiert. Es gibt jedoch einen Punkt, in dem ich nicht so privilegiert bin: Sprache. Deutsch habe ich erst in der Grundschule gelernt und wegen meiner (Aus-)Sprache nicht ernst genommen zu werden, war lange Alltag für mich. („Wie süß, solche Fehler machen nun mal ausländische Kinder!“)
Auch wenn meine Eltern studiert haben und ich mit meinem Vater am Mittagstisch über Beuys und Postmoderne philosophierte, haben wir das nie auf Angeberdeutsch getan. Mein Vater hat alltägliches Mazedonisch geredet und ich auf einem mazedonisch-kroatisch-deutschen Mix. Im Vordergrund stand das Verständnis. Ich war also mit dem geisteswissenschaftlichen Kauderwelsch nicht so vertraut wie meine Kommiliton_innen aus mehrheitsdeutschen, akademischen Familien.
Ich sah mit der Zeit ein, dass ich, um komplexe Zusammenhänge zu erfassen, nicht um Fachwörter und theoretische Konzepte herumkomme und diese auch sehr hilfreich sein konnten. Ich sah und sehe jedoch nicht ein, dass dieser zwar hilfreiche, aber auch oft überflüssige Sprachstil, zusammen mit einer elitären Performance, die Eintrittskarte in die akademische Welt bildet.
Stell dir vor, du stehst morgens auf und denkst: „Geil, gleich Blockseminar Postcolonial Studies!“, und hast ungelogen übertrieben viel Bock zu lernen. Und eine halbe Stunde nach Seminarbeginn fühlst du dich so klein, dass du am liebsten wieder in dein Bett kriechen würdest.
SO ERGING ES MIR OFT. Als würden mir ständig Leute reinwürgen, wie viele Defizite ich habe: Indem sie z.B. das, was ich gerade gesagt hatte, in Akademisch übersetzten, ehe es als Unterrichtsbeitrag gewertet wurde. Rhetorik und Performance sind das A und O. Wie naiv von mir zu denken, dass es ums Lernen gehen würde.
„Immerhin habe ich das Semesterticket“, dachte ich oft. Und Uni-Freund_innenschaften. Aber auch an denen ist Elite- und Leistungsdenken nicht vorbeigegangen: Einmal hat mich eine Kommilitonin eingeladen mit ihr und einer Dozentin Kaffee trinken zu gehen. Wir sprachen über ein Seminar, das wir im ersten Semester besucht hatten. „Du hast die Texte nie gelesen, oder?“, sagte sie schmunzelnd-herablassend vor der Dozentin. Doch, hatte ich. Aber ich hatte viele – trotz Fleiß und Mühe – nicht verstanden und nicht gerade den Eindruck, dass in dieses Seminar ein Raum gewesen wäre darüber zu sprechen. Zu oft wurde ich seltsam angeguckt, wenn ich Verständnisprobleme äußerte, so ein Ach-wie-süß-die-ist-zu-blöd-das-zu-checken-Blick. Ich fühlte mich bloßgestellt und als faul abgestempelt, auch noch direkt vor der Dozentin.
Ein anderes mal bin ich nach längerer Zeit wieder zu einem Seminar gekommen. Ich hatte neuen Mut getankt, es endlich mit dem Studieren hinzukriegen. Nach dem Unterricht fragte mich eine Kommilitonin, ob ich noch irgendwohin mitkommen könnte. „Nein, ich bin auf dem Sprung“, sagte ich. „Ach was, ich kenn dich doch! Du bist nie auf dem Sprung!“, kommentierte diese und meinte eigentlich: Du bist doch so ne schlechte Studentin, was wirst du schon großartig zu tun haben? Nee, is klar, ich sitz den ganzen Tag zu Hause und feil’ mir die Fußnägel, im Gegensatz zu ihr, die schon ihr ich weiß nicht wievieltes Praktikum in China gemacht hat.
MIT FICK-DICH-BLICK und Scheuklappen geisterte ich durch die Uni, bis ich mir sagte: So kann das nicht weitergehen. Also, was habe ich gemacht? Den nächsten Fehler: Geh mal zu den Gender-Studies, da ist es bestimmt anders! Lol. Ist die Rede von Klassismus und Hindernissen an der Uni, die durch Sprache und elitäre Performance produziert werden, siehst du weit und breit nur nickende Köpfe. Und dann geht es unbehelligt weiter mit schwer lesbaren Texten von Lann Hornscheidt (Wer braucht schon Absätze?) und Wortverschwurbelung vom Feinsten: „Akademische Entpositionierungen und paradoxe Entkomplexisierungen durch Intersektionalität“. Puh.
Witzigerweise schiebe ich mit diesem Text gerade auf, den ersten Satz meiner Bachelor-Arbeit niederzuschreiben. Ich bin den ganzen Tag dagelegen und habe mich selbst fertiggemacht: „Warum traust du dir so wenig zu?“ Dann ist es mir wieder eingefallen: Weil ich in der Uni gelernt habe, dass ich defizitär bleibe, was auch immer ich tue. Aber hey, ich habe es fast bis zur Bachelor-Arbeit geschafft und bin dafür verhältnismäßig unverbittert. Und ich habe eine Sache, die mich antreibt, weiterzumachen: Trotz. Gut für mich. Schlecht für die, die kein Mittelschichtsprivileg und keinen akademischen Hintergrund haben, die deutsch noch später gelernt haben – oder noch lernen, für die 300 Euro Studiengebühren sehr viel Geld sind und, die es vielleicht nicht bis zur Bachelor-Arbeit schaffen. Wahrscheinlich dürfen sie sich später noch anhören, sie seien „bloß faul“ gewesen. Zum Kotzen.
Dieser Artikel wurde auch im progress Magazin 02/2015 und auf progress Online veröffentlicht.
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Danke! Für’s Spiegel-vorhalten, aber auch für’s mich verstanden-fühlen und für Motivation es ab jetzt besser zu machen. Nur momentan geh ich auch mit Scheuklappen durchs Institut, dafür fehlt mir weiterhin eine Alternative..
Das, was du beschreibst, kann ich zumindest von der Uni-Ebene her durchaus nachvollziehen. Einige meiner KomillitionInnen aus der Bachelor-Zeit konnten nicht mal in der privaten Runde beim Kartenspielen auf allzu verschwurbelte Sprache und ständige Referenzen auf gelesene Texte und AutorInnen verzichten. Ich habe vor kurzem meine Masterarbeit eingereicht und , denke ich, mir doch einen Rest an „Arbeitersprech“ erhalten, den ich aus meiner Familie mitbekommen habe. Mir fällt es, wie du es gut beschreibst, noch heute schwer, komplizierte Satzgebilde mit aneinandergereihten Fachbegriffen zu verstehen, wenn ich es nicht mehrmals lese. Was ich bei DozentInnen noch irgendwo nachvollziehen kann – die haben ja auch mit ihresgleichen zu tun und publizieren Texte am Fließband – stößt mir in Bezug auf andere StudentInnen sauer auf. Warum kann man Sachverhalte nicht auch in einfacher Sprache darstellen? Wegen der sonst fehlenden Abgrenzungen? Das mag ja in Fachtexten noch halbwegs gelten, aber in einem Seminar zum Verständnis und Vertiefung ist doch mehr oder minder definiert, worüber gerade gesprochen wird. Aber da wird wohl gern das eigene Ego und Wissensstand poliert, weil sonst nicht viele Qualitäten vorliegen …
Wie auch immer: Ich wünsche dir alles erdenklich Gute beim Schreiben deiner Bachelorarbeit. Niemals aufgeben, niemals kapitulieren 🙂
Danke. Dass du das mal aufgeschrieben hast. Ich hab meinen Studienabbruch (und was dazu führte) immer noch nicht geschluckt, aber ich bin gerade sehr froh, dass du dich traust (das Wort kommt jetzt aus meiner Unsicherheit), so klar und offen und deutlich zu sagen, was die meisten sehen, aber nicht wissen wollen, weil sie in der Zeit, die Reflektion braucht, lieber ihre Performance polieren.
(Wenigstens hatte ich das Semesterticket.)
Viel Erfolg mit der B-Arbeit!