Goth und Postpunk aus Ex-Jugoslawien

Goth und Postpunk aus Ex-Jugoslawien

11. März 2020 5 Von Herzbrille
Jugoslawien-Flagge mit einem Fledermausschwarm.
Jugoslawien-Flagge mit einem Fledermausschwarm. Fledermaus-Grafik: Maret Hosemann

Ex-Jugoslawien ist sicher nicht die erste Assoziation, wenn es um Goth-Rock und Darkwave geht. Ex-Jugoslawien ist generell selten eine Assoziation, wenn es um alternative Musik geht. Das ist grober Unfug, denn wenn es Jugos an etwas nicht mangelt, dann Musik! Die 80er Jahre mit all ihrem New Wave, Postpunk und Haarspray blühten auch in Ex-Jugoslawien – und wie! Die Postpunk-Szene in Rijeka, Kroatien, hat ziemlich viele Bands hervorgebracht. Die dunkle Seite des Postpunks kultivierte besonders Mazedonien. Dieses Land ist fast so etwas wie der Grufti unter den ehemaligen Teilrepubliken. Die Band Padot Na Vizantija wurde Anfang der 80er von Goran Trajkoski in Skopje gegründet und kann guten Gewissens als Bauhaus Ex-Jugoslawiens bezeichnet werden. Auch hierzulande werden die einen oder anderen von Goran Trajkoski gehört haben, denn Deine Lakaien-Sänger Alexander Veljanov arbeitete mit ihm auf dem Soloalbum „Porta Macedonia“ zusammen.

Natürlich hat der Balkan viel mehr zu bieten! Ich habe mich auf die Suche begeben und dabei ehrlich gesagt viel, viel mehr gefunden als erwartet. So viel, dass ich unmöglich alles in einen Blogartikel unterbringen kann – bald gibt’s mehr, versprochen! Bei den Classics habe ich nach Bekanntheit, Wichtigkeit, Einfluss (und Geschmack) ausgewählt, mit dem Anspruch aus möglichst vielen Teilrepubliken mindestens einen Vertreter zu haben. Bedenkt aber bitte: 1. Ich bin in den 90ern geboren und 2. nicht in Ex-Jugoslawien aufgewachsen. Daher ist es wahrscheinlicher, dass mir bei der Recherche irgendeine wichtige Band durch die Lappen geht als einem 55-jährigen Goth-DJ aus Zagreb. Wenn du deine Lieblingsband vermisst, lass mir doch einen Kommentar da! ❤️

Also, liebe Nerds der düsteren Musik, spitzt eure Ohren, poliert eure Winklepicker, schwingt das Tanzbein – jetzt kommen fast vergessene Kultbands, obskure Klassiker und aktuelle Insidertipps!


1. Revival Bands

Sixth June (Minimal Synthwave, Darkwave | Serbien/Deutschland)

Goth und Darkwave erleben seit einigen Jahren dank Bands wie She Past Away oder Lebanon Hanover eine Renaissance. Auch Sixth June ist eine dieser Revival-Bands. Gegründet wurde sie 2007 von Laslo Antal und der Sängerin und Schauspielerin Lidija Andonov in Belgrad. Wenige Jahre später zogen die beiden nach Berlin und nahmen hier ihr Debütalbum „Everytime“ auf. Sixth June sind schon auf dem EXIT Festival in Novi Sad und auf dem WGT aufgetreten. Vor allem die atmosphärischen Synth-Klanglandschaften, die Saxophon-Passagen und Lidijas sanfte Stimme stechen heraus. Sixth June haben erst vor kurzem ein neues Album herausgebracht: „Trust“ heißt die Platte und zeigt das Duo in gewohnter Qualität.

Kadeadkas (Postpunk, Goth-Rock | Kroatien/Deutschland)

Diese Band ist meine jüngste Entdeckung und ich komme noch immer nicht drauf klar, wie gut sie ist! Gegründet wurden Kadeadka 2016 in Köln, 2017 haben sie die EP „Plastique Palace“ und 2019 das Album „HalluciNation“ rausgebracht. Kadeadka sind vor allem eins: Energiegeladen. Sie kombinieren Elemente aus 80er Postpunk und Positive Punk mit ausdrucksstarkem Gesang, treibenden Drums und dominanter Bassgitarre, streuen die eine oder andere psychedelische Passage ein – und all das durchsetzt mit anti-kapitalistischen und anti-nationalistischen Lyrics. Stark!

Bernays Propaganda (Postpunk | Mazedonien)

Auf den ersten Blick ist Bernays Propaganda eine eingängige Postpunk-Band mit schönen Vocals, die wir Kristina Gorovska zu verdanken haben. Bei genauerem Hinhören findet man jedoch interessante Einflüsse aus Synthpop, Detroit Techno, Funk oder Jazz. Bernays Propaganda sind nicht so goth wie die anderen Musikbeispiele auf dieser Liste, aber als eine der wichtigsten mazedonischen Bands dürfen die Postpunker nicht fehlen! Einen Namen haben sich Bernays Propaganda vor allem mit ihren politischen Lyrics gemacht, in denen sie sich für Frieden, Menschenrechte und gegen Nationalismus aussprechen. Bernays Propaganda gilt gleichermaßen als musikalisches wie aktivistisches Projekt. 2009 haben sie ihr Debütalbum „Happiness Machines“ veröffentlicht. Inzwischen können sie schon fünf Studioalben vorweisen. Die letzte Platte „Vtora mladost, treta svetska vojna“ („Zweite Jugend, dritter Weltkrieg“) erschien im September 2019.

Maria Loves Me (Darkwave | Kroatien)

Das Leben dieser kroatischen Darkwave-Formation aus Sisak war nur von kurzer Dauer: 2010 gründete Erik Bajčić mit den Sängerinnen Ana Bajčić Buić und Martina Janko die Band Maria Loves Me, zwei Jahre später war alles wieder vorbei. Immerhin konnte das Trio ihren Song „GRAD“ auf der brasilianischen „Gothic Rock Around The World“-Compilation verewigen. Vereinzelt findet man auch weitere Songs der Band auf Youtube, z. B. das tanzbare „Black Tears“.

Larve (Deathrock | Kroatien)

Der Sound dieser Band geht sofort ins Ohr: Schriller Gesang, zirkusartige Synth-Klänge und pulsierende Bassläufe. Larve ist eine rein weiblich-besetzte Deathrock-Band aus Rijeka. 2010 veröffentlichten sie die EP „Larve“. Gerüchten zufolge hat sich die Band inzwischen wieder getrennt.

Honorable Mentions: Future Cathedrals, Utjeha Kose, Hipnopolis


2. Zwischen den Welten: Alexander Veljanov

Veljanov (Darkwave, Avantgarde | Deutschland/Mazedonien)

Für mich ist Veljanov mehr als ein Darkwave-Star und ein großartiger Sänger. Da ich den gleichen Migrationshintegrund habe wie er, bedeutet seine Musik für mich auch Repräsentation. Alexander Veljanov studierte Theater- und Filmwissenschaften in München und Berlin, brach das Studium jedoch ab, um sich ganz auf die Musik zu konzentrieren. Das Ergebnis: Deine Lakaien, drei Solo-Alben und diverse Nebenprojekte. Als ich mit 15 Deine-Lakaien-Fan wurde, wusste ich noch nichts von seinen mazedonischen Wurzeln. Es dämmerte mir erst, als er plötzlich in der Berliner Jugo-Szene vor mir stand und mein Herz fast stehenblieb. Zum Glück ist es nicht stehengeblieben, denn sonst hätte ich „Porta Macedonia“ nicht mehr miterlebt. Auf dem 2008 veröffentlichten Album schlägt Veljanov eine Brücke zwischen Deutschland und Mazedonien. Er arbeitet mit Elementen der mazedonischen Folklore, wie auf „Nie mehr“ und „Dirt“ zu hören ist und verbindet elektronische Musik und Avantgarde mit düsterem Rock. Die Zusammenarbeit mit Goran Trajkoski ist besonders in den Dark-Cabaret-Klängen von „Kongress“ und „Zwei vor und drei zurück“ erkennbar: Ein Jahr zuvor veröffentlichte Goran Trajkoski das Dark-Cabaret-Album „Circo Europa“. Veljanov referenziert das von Trajkoski geschriebene MIZAR-Album „Kobna Ubavina“ von 2006, indem er einige der Songs aufgreift oder neu interpretiert, z. B. ist „His Vita“ (Veljanov) eine Neu-Interpretation von „Razgovor so slepite“ (MIZAR) und „Mein Weg“ (Veljanov) bezieht sich auf „Pochesna Strelba“ (MIZAR).

Doch schon viele Jahre zuvor spielten Veljanovs mazedonische Wurzeln eine Rolle in seiner Musik. Mit der Goth-Rock-Band Run Run Vanguard vertonte er 1993 das Gedicht „T’ga za jug“ des Poeten Konstantin Miladinov von 1860. Interessant ist, dass Miladinov dieses Gedicht in der russischen Diaspora geschrieben hat – es beschreibt die Sehnsucht des Autoren nach seiner Heimat Ohrid. Diese Sehnsucht haben Run Run Vanguard perfekt musikalisch eingefangen.

2001 brachte Veljanov eine mazedonische Version („Blag Zhivot“) des Stückes „The Sweet Life“ auf dem gleichnamigen Album heraus. Anders als in der englischen Version, wird hier seine Stimme von einer Folk-Flöte untermalt.


3. Mazedonischer Goth-Rock & „Makedonska Streljba“

Padot Na Vizantija (Goth-Rock | Mazedonien)

Padot Na Vizantija, zu Deutsch „Der Untergang von Byzanz“, ist die wohl die einflussreichste Goth-Rock-Band Ex-Jugoslawiens und das trotz ihres so kurzen Bestehens: Gegründet wurde sie 1983 von Goran Trajkoski und nach einigen Touren 1985 wieder aufgelöst. Die bekanntesten Stücke sind „Nok nad jugoslavija“, „Pochetok i kraj“ und „Sepak istata sostojba“. Padot Na Vizantija haben keine Studioalben hinterlassen, Aufnahmen sind selten und meist von schlechter Qualität. Beim ersten Hören wird man alle Elemente wiederfinden, die man von frühen Postpunk und Goth-Rock-Bands wie Joy Division oder Bauhaus gewöhnt ist. Um ihren Einfluss jedoch besser zu verstehen, lohnt sich ein genauerer Blick darauf, was sie von westeuropäischen und anderen ex-jugoslawischen Bands unterscheidet: Sie verwenden Elemente aus byzantinischer Musik wie Choralgesänge und christlich-orthodoxe Motive. Anstatt wie andere Ex-Yu-Rockbands auf Serbokroatisch zu singen, singen Padot Na Vizantija auf Mazedonisch. Das ist ein kleiner, aber nicht unwesentlicher Unterschied: Andere Jugo-Bands orientieren sich an westlicher Musik und zeitlosen Themen und affirmieren jugoslawische Identität. Padot Na Vizantija hingegen schöpfen aus der mazedonischen Geschichte, Kultur und Folklore und wenden sich religiösen Themen zu. Zusammen mit assoziierten Bands wie MIZAR und Arhangel traten sie die musikalische Bewegung Makedonska Streljba los, die für mazedonisches Selbstbewusstsein stand. Eine ähnliche Bewegungen gab es auch in Slowenien mit Bands wie Laibach: „Neue Slowenische Kunst“ (NSK). Die politischen Implikationen dieser Strömungen (Separatismus, Nationalismus) sind natürlich nicht unkontrovers. Im letzten Abschnitt habe ich dazu ein paar Lesetipps aufgeführt.

MIZAR (Goth-Rock | Mazedonien)

Die Goth-Rock-Legende MIZAR wurde schon 1981 gegründet, ihr Debutalbum „Mizar“ erschien allerdings erst sieben Jahre später, nach diversen Line-up-Wechseln. Die turbulente Bandgeschichte von MIZAR lässt sich so zusammenfassen: Das einzige konstante Bandmitglied ist der Gitarrist Gorazd Chapovski. Die Position am Mikro wurde oft gewechselt: Der wichtigste Sänger, der zur Blütezeit der Band aktiv war, ist Goran Tanevski. Der bereits erwähnte Goran Trajkoski von Padot Na Vizantija war zwar schon um 1986 rum Mitglied von MIZAR gewesen, doch erst mit dem Revival 2003 war er auf einem Album zu hören. Andere erwähnenswerte Sänger*innen sind Riste Vrtev, bekannt für die Alternative-Rock-Band Arhangel, Nora Stojanović, die sich später als Solokünstlerin dem Electropunk verschrieb und Harmosini, ein byzantinischer Chor. Aktuell singt Jana Burčeska für MIZAR, die 2017 Mazedonien beim Eurovision Songcontest vertrat. Wie auch Padot Na Vizantija, schöpfen MIZAR aus der mazedonischen Geschichte und Folklore und bearbeiten christlich-orthodoxe Themen – einige Stücke sind sogar auf Altkirchslawisch. Goran Tanevski’s und Goran Trajkoski’s Barriton-Stimmen und Gesangstechnicken erinnern an byzantinische Choräle und passen zudem so gut zu Goth-Rock, dass sich Andrew Eldritch warm anziehen muss.

Anastasia (Darkwave, Folk | Mazedonien)

1987 gründeten Goran Trajkoski, Zlatko Oriǵanski, Klime Kovaceski und Zoran Spasovski Anastasia. Anders als bei MIZAR oder Padot Na Vizantija, rückten hier die Gitarren in den Hintergrund und schafften Raum für elektronische Klangexperimente und einen stärkeren Schwerpunkt auf Folklore. Am bekanntesten sind Anastasia für den Soundtrack von „Before The Rain“, einem Film von Milcho Manchevski.

KISMET (Darkwave, Folk, Experimental | Mazedonien/Australien)

MIZAR-Gitarrist Gorazd Chapovski gründete 1993 in Melbourne mit dem ehemaligen MIZAR-Bassisten Ilija Stojanovski KISMET und erschaffte eine Klanglandschaft, die auf dem Grundgerüst von MIZAR aufbaute. Auch hier spielen folkloristische Elemente eine Rolle, doch begleitet von aggressiveren, experimentelleren und an Industrial angelehnten Klängen.

Goran Trajkoski (Darkwave, Dark Rock, Dark Ambient, Dark Cabaret, Folk, Neofolk | Mazedonien)

Müsste ich jedes Projekt von Goran Trajkoski einzeln besprechen, würde die ohnehin lange Liste kein Ende finden, daher kurz und schmerzlos: In den 80ern war Goran Trajkoski neben Padot Na Vizantija und MIZAR auch in der Punkband Saraceni aktiv sowie in der Formation Apokrifna Realnost, die sich byzantinischer Musik widmete. Trajkoski arbeitet als Komponist für Theaterstücke und Soundtracks. Er veröffentlichte 2007 unter dem Pseudonym Gotra das Dark-Cabaret-Album „Circo Europa“. 2011 kooperierte er mit der bekannten Folk-Sängerin Elena Hristova (Baklava) auf dem Album „Bioscopia“, das wie die mazedonische Antwort auf Dead Can Dance klingt. Seit 2014 verstärkt er das Live-Line-up von Deine Lakaien. 2017 brachte er sein Dark-Rock-Album „Teshkiot glas na novite himni“ heraus.

Honorable Mentions: Saraceni, Apokrifna Realnost, Arhangel, Telo-Nauka Sovršena, Dekadencija, Nora Stojanović


4. Postpunk- und Goth-Klassiker

Phantasmagoria (Goth-Rock | Kroatien)

Als ich Phantasmagoria 2012 in Zagreb als Vorband von Paradise Lost sah, war mir nicht bewusst, dass vor mir eine kroatische Kult-Band spielte. Phantasmagoria, benannt nach dem legendären Album von The Damned, haben alles zu bieten, was Goth-Rock im Stil von The Sisters of Mercy oder Fields of the Nephilim ausmacht: Die tiefen Vocals von Tomi Phantasma, starke Basslines, eingängige Melodien, verzerrte Gitarren, gelegentlich mit Metal-Einschlag und schnelle, hämmernde Rhythmen. Sie sind die wahrscheinlich zugänglichste Band auf dieser Liste. Gegründet wurden Phantasmagoria 1988 in Zagreb und landeten mit ihrer Single „Alex“ direkt auf Platz 1 der Indie-Charts. 1990 wurden sie als beste neue Alternative-Band Kroatiens gekürt. Ihren Kultstatus verdanken sie allerdings auch der schlechten Presse: Die Nutzung des Pentagramms handelte ihnen Stress mit der katholischen Kirche ein. Während des Krieges spielten Phantasmagoria auf Anti-Kriegsfestivals und in Kriegsgebieten. Sie sind bis heute aktiv und letztes Jahr als Vorband von She Past Away und Christian Death aufgetreten.

Paraf (Postpunk, Goth-Rock | Kroatien)

Wenn Phantasmagoria die Sisters of Mercy des Balkans sind, dann sind Paraf die ex-jugoslawischen Siouxsie & The Banshees. Pavica Mijatovićs unnahbarer Gesang erinnert stark an Siouxsies Altstimme. Paraf wurden 1976 in Rijeka gegründet und waren bis 1986 aktiv. Aber, wer hätte das gedacht: Sie feiern gerade ihr Comeback! Im November 2019 haben Paraf den Song „Bez Lica“ veröffentlicht, sogar mit Musikvideo. Man darf gespannt bleiben, ob es bald auch ein neues Album geben wird. In der Anfangszeit sang Gründungsmitglied Valter Kocijančić für die Band, die sich damals noch am klassischen Punkrock orientierte. Anfang der 80er verließ Kocijančić Paraf und wurde von der Sängerin Pavica Mijatović („Vim Cola“) ersetzt. Zu dem Zeitpunkt waren Paraf von Bands wie Gang of Four und Wire beeinflusst und schlugen eine neue Richtung ein: Ihr Sound wurde zunehmend experimenteller, synth-lastiger und atmosphärischer. Die Alben „Izleti“ und „Zastave“ sind Klassiker und gehören in jede Jugo-Rock-Sammlung.

Ekatarina Velika (EKV) (Postpunk, Goth-Rock, New Wave | Serbien)

Ekatarina Velika (deutsch: Katharina, die Große), oft EKV abgekürzt, ist eine der bekanntesten ex-jugoslawischen New-Wave-Bands. Sie wurde 1982 unter dem Namen Katarina II in Belgrad gegründet. Bis 1986 haben EKV Postpunk und Goth-Rock gespielt, später entwickelten sie sich in Richtung Alternative Rock weiter. Den Kern der Band bildeten die Keyboarderin Margita Stefanović, der Bassist Bojan Pečar und der Sänger und Gitarrist Milan Mladenović. Als Mladenović 1994 verstarb bedeutete das auch das Ende für die Band. Scharfe Rhythmen, funky Gitarren, satte Synths und der Wechsel zwischen melodischem Gesang, Kreischen und Rezitation sind das Besondere an ihrem Stil. Ihre Musik hatte einen großen Einfluss auf andere ex-jugoslawische Künstler*innen wie Van Gogh oder Block Out.

Pingvinovo Potpalublje (Postpunk | Kroatien)

Diese kroatische Postpunk-Band aus Zagreb mag weniger bekannt sein, doch unter Kenner*innen ist sie ein Klassiker. 1979 wurde sie unter dem Namen Radio 4 von den Schulfreunden Marin Bosanac, Rikard Frgačić, Darko Perica und Dubravko Merlić gegründet. Sie spielten auf vielen Konzerten und einigen Festivals, doch haben es bis zur Auflösung 1984 nicht geschafft ein offizielles Album zu veröffentlichen. An dem Stil von Pingvinovo Potpalublje fällt auf, dass er sehr innerlich, verträumt und melancholisch ist. Ich fühlte mich stellenweise ein wenig an „Script of the Bridge“ von The Chameleons erinnert. Eine weitere Besonderheit ist der Einsatz von Trompete und Saxophon. 2017 veröffentlichen sie ihre alten Demotapes und Live-Aufnahmen.

Karlowy Vary (Postpunk, Goth Rock | Kroatien)

Verträumt und innerlich geht es weiter und zwar mit der Zagreber Postpunk-Truppe Karlowy Vary. Wer „154“ von Wire mag, wird diese Band lieben! Karlowy Vary zeichnen sphärische Synth-Landschaften, minimalistische Drums sowie psychedelische Gitarren- und Bassklänge aus – und die ausdrucksstarken Vocals von Varja Orlić. In manchen Kreisen gilt Varja als „unsere weibliche Ian Curtis“. Die Band wurde 1982 zunächst unter dem Namen Korowa Bar gegründet und löste sich nach dem Debütalbum „La Femme“ 1985 wieder auf. Sie haben 1984 bereits versucht ein Album namens „Haotika“ zu veröffentlichen, das allerdings von der Regierung indiziert wurde. Auf Youtube kann man es hören.

Dobri Isak (Postpunk, Goth-Rock | Serbien)

1983 gründeten Gitarrist und Sänger Predrag Cvetičanin, Gitarrist Zoran Đorđević, Bassist Branko und Drummer Boban Dobri Isak. Die Band war bis 1986 aktiv, gab viele Konzerte – unter anderem als Vorband für Padot Na Vizantija, doch hinterließ nur ein Album: „Mi plačemo iza tamnih naočara“, 1986 veröffentlicht. Der Einfluss von Joy Division ist nicht zu überhören: Unnahbare Vocals, rituell anmutende Rhythmen, verspielte Gitarren und hypnotische Bassläufe sind bezeichnend für den Stil von Dobri Isak.

Trivalia (Goth-Rock | Serbien)

Melancholische Gitarrenmelodien, eine catchy Bassline und tanzbare Beats, die von einem Drum-Computer stammen – das ist quasi das Rezept eines guten Goth-Rock-Sounds. Diesen Sound hat die 1986 in Niš gegründete Band von Vladimir Žikić, Boban Stojiljković und Srđan Jovanović definitiv drauf. Aber Trivalia haben noch mehr zu bieten: Die Band spielt mit Einflüssen aus der Filmmusik und referenziert musikalisch und textlich Themen wie Religion und Mythologie. Der Bandname geht auf den antiken Stamm der Triballer zurück, die im südosteuropäischen Raum angesiedelt waren. Trivalia waren bis 1995 aktiv. Danach führte der Sänger Vladimir Žikić Trivalia bis ins Jahr 2000 als Soloprojekt weiter und versuchte sich auch an elektronischen Klängen.

Komakino (Goth-Rock | Slowenien)

Auch bei dieser Band, benannt nach dem Joy-Division-Song „Komakino“, merkt man sofort, dass sie weiß, worauf es bei einem guten Goth-Rock-Song ankommt. Sie scheinen zudem die Düsternis stärker zu zelebrieren als andere Postpunk-Formationen aus den 80ern. Leider waren sie nur knapp ein Jahr aktiv. 1987 gründeten Sänger Bojan Ažman und Drummer Maček die Band. Einige Jahre zuvor hatten sie sich in Rio de Janeiro kennengelernt und beschlossen gemeinsam Musik zu machen. Es folgten Konzerte und Studioaufnahmen in Ljubljana, die es jedoch in kein offizielles Album geschafft haben. Konflikte innerhalb der Band führten dazu, dass der Sänger Bojan Ažman Komakino verließ. Ersatz wurde gefunden, dennoch folgte bald die endgültige Auflösung. Die Demotapes gibt es auf Bandcamp zum kostenlosen Download.

Grč (Postpunk, Goth-Rock | Kroatien)

Die Formation Grč, auf deutsch: „Krampf“, ist eine Größe des kroatischen Postpunks. Grč wurden 1982 in Rijeka von Zoran Štajdohar-Zoff, Marijan Barač und Igor Modrić gegründet, die alle bereits in anderen alternativen Musikprojekten involviert waren. Der Gesang ist grölend und laut, die Musik aggressiver und martialischer als alle anderen Bands dieser Liste. Es überrascht nicht, dass sich Grč in späteren Jahren in Richtung Industrial-Rock und Metal weiterentwickelt haben. Sie sind noch heute aktiv – ihr letztes Album „Nek‘ Padaju Glave“ („Die Köpfe sollen rollen“) erschien 2016. Grč sind für ihre Schockrock-Bühnenshows berühmt und haben schon in den 80ern mit heiklen, an sozialistische Phrasen angelehnten Lyrics für Irritation gesorgt. Das Album „Sloboda Narodu“ von 1987 gilt als Klassiker.

PAUK (Postpunk | Bosnien & Herzegowina)

Die Kultband PAUK, auf deutsch: Spinne, wurde 1978 in Zavidović gegründet, einer kleinen Stadt in dem Herzen Bosnien und Herzegowinas. Bandmitglieder waren Branko Dabić, Ešref Hamzić, Mladen Pavičić, Nenad Simić, Vlado Kalajdžić und Željko Selak. Schnelle, nach vorn treibende Rhythmen, der experimentelle Einsatz von Synths und progressive Gitarrenpassagen sind kennzeichnend für ihren Stil. 1983 veröffentlichten PAUK das Album „Mumije Lažu“.

KAOS (Goth-Rock, Deathrock | Kroatien)

KAOS dürften das Herz eines jeden Goth-Punks höher schlagen lassen: Schriller Gesang, kreischende Gitarren, hämmernde Rhythmen, bei denen man nicht still sitzen bleiben kann – Batcave-Vibes sind garantiert! Gegründet wurden KAOS 1979 in Rijeka. Bandmitglieder waren Gitarrist Neven Braut, Bassist Robert Zambata, Sängerin Tea Josipovic, Schlagzeuger Andrej Urem und die Keyboarder Emil Zauhar und Igor Glumac. KAOS waren bis 1984 aktiv und haben viele Konzerte gegeben u. a. in Zagreb, Rijeka, Ljubljana und Belgrad. Erst 2010 haben sie ihre Songs aus den 70ern und 80ern auf einem offiziellen Album veröffentlicht.

Psihokratija (Darkwave | Serbien)

Wer experimentellen Synth-Klängen mehr abgewinnen kann als Batcave-Vibes, dürfte bei Psihokratija genau richtig sein. Der unverwechselbare Sound dieser Band ist ätherisch und roh, minimalistisch und theatralisch zugleich und die Kombination aus neoklassischen Elementen, Synths und tiefen Vocals geht unter die Haut. Psihokratija wurde 1988 in Belgrad von Gorjan Krstić (Synths) und dem Sänger Zoran Petrović gegründet. 1990 veröffentlichten sie ihr Debüt „Album Mentalnih Fotografija“. Im selben Jahr trennte sich die Band jedoch und Gorjan Krstić nahm mit neuen Bandmitgliedern das zweite Album „U Teatru Misterije“ auf. Danach wurde es still um Psihokratija. Aber wir haben Glück: 2019 war ein gutes Jahr für Goth und so zählen auch Psihokratija neben Paraf zu den alten Hasen, die nach 29 Jahren ihr Comeback versuchen. Ein drittes Studioalbum soll in der Mache sein.

Honorable Mentions: Morbidi I Mnoći, La Strada, Tužne Uši, Subversion, Bigoti, Invisible Fields, Rascep Gospodina K, Strukturne Ptice, BAAL, Scabia, Grad, Stigmata, Avangarda+, Roderick, Paragos, Nemesis, Dorian Gray, Art Akt, Bojler, Poezis, Boykot Fur, Kasandrin Glas, Last Expedition

5. Fortsetzung folgt: Synthpop, Darkwave und YU Wave

Den nächsten Artikel werde ich der elektronischeren Seite des Goth-Spektrums widmen und dabei den einen oder anderen Blick in Richtung Synthpop und EBM wagen. Ich werde Bands wie Beograd, Max & Intro, Borghesia, Romantične Boje, Bastion, Metropolie Trans oder Demolition Group vorstellen. (An alle, die in dieser Liste Laibach vermissen: Ich habe Industrial weggelassen, um nicht den Rahmen zu sprengen und weil Goth und Industrial zwei verschiedene Genres sind. In einem anderen Artikel wären Laibach besser aufgehoben.)

Du bist ein Jugo-Postpunk-Nerd und beleidigt, weil ich einen Klassiker oder deine Lieblingsband vergessen habe? Dann lass mir doch gern einen Kommentar da und ich werde im nächsten Artikel ganz bestimmt dafür Platz finden! 😉


Lese- und Linktipps

  • Meine Youtube-Playlist: „Goth & Postpunk from former Yugoslavia 1980-2016“ ist ein guter Einstieg ins Thema.
  • Der Youtube-Channel ExYuDarkScene präsentiert regelmäßig alte und aktuelle Songs düsterer Genres – von Noise, Industrial, Coldwave und Horrorpunk bis hin zu Grindcore.
  • Der Youtube-Channel Dronemf S. veröffentlicht regelmäßig obskure Postpunk-/Goth-/Synthpop-/Industrial-Songs aus Ex-Jugoslawien.
  • Der Blog „Jugo Rock Forever“ stellt alle wichtigen 80er Jugo-Rockbands vor. Neben Postpunk und Goth sind auch andere Genres und Größen wie Bijelo Dugme vertreten.

Zum Thema Makedonska Streljba:

  • Last.fm: The Groundsome of Macedonian modern music, the art movement Makedonska Streljba
  • Szajkowski, Bogdan, und Florence Terranova, Hrsg. Revolutionary and Dissident Movements of the World. London: John Harper, 2004. S. 303-4.
  • Hogon’s Industrial Guide (Blog) analysiert die politische und kulturelle Bedeutung der Bewegung „Makedonska Streljba“. (Bis zum vierten Bild scrollen, da beginnt der spannende Teil.)