Ein mal Grufti, immer Grufti – nur politischer!

Ein mal Grufti, immer Grufti – nur politischer!

15. Januar 2020 4 Von Herzbrille
 Pikes und eine Tasche mit der Aufschrift "Sadness is rebellion"
Pikes und eine Tasche mit der Aufschrift „Sadness is rebellion“, Foto: Paula Balov

Als Teenie war ich Goth und erfüllte womöglich jedes Klischee. Später zog ich mich aus der „Schwarzen Szene“ zurück, weil ich die Rechtsoffenheit in einigen Kreisen nicht unterstützen wollte. Doch dann entdeckte ich Goth-Revival-Bands und politische Gruftis und beschloss: Ich will mitmischen statt mich zurückziehen!

„Du willst also Goth sein, hm? Nenne einen Goth-Song!“

Als Teenie war ich nicht nur Goth, ich war die Sorte Goth, die sich mit Clownsschminke bleicher geschminkt hat und mehrere Lagen schwarzer Spitzen-, Rüschen- und Samtkleider übereinander trug. Schuld war keine Goth-Band, sondern Evanescence. Und HIM. Vor allem HIM. Zu behaupten ich sei in Ville Valo verknallt gewesen wäre eine Untertreibung. Es waren die Nullerjahre, okay?

In der siebten Klasse nannte mich jemand Goth und ich nahm das Label sofort an ohne den Hauch einer Ahnung zu haben. Mein Papa, der olle Punk, hat bloß den Kopf geschüttelt: „Du willst also Goth sein, hm? Nenne einen Goth-Song!“ Da ich an dem Test kläglich scheiterte, gab mir mein Vater Nachhilfe-Unterricht: Er zeigte mir Joy Division und Bauhaus. Meine 14-jährigen Millennial-Ohren wussten überhaupt nicht, was die Musik von mir wollte. Aber mit Sisters of Mercy konnte ich was anfangen.

Und so wurde ich Teil der Schwarzen Szene und es war ziemlich lange a thing für mich. Ich schrieb düster-romantische Gedichte, stand auf Tim Burton und der Spaziergang zum Friedhof gehörte zu meiner Selfcare-Routine. Um ein weiteres Klischee zu erfüllen: Mein Lehrer hatte mal in einem Gespräch unter vier Augen angemerkt, dass ich das Patschuli-Level ein wenig runterschrauben könnte.

Die Nullerjahre, die Zeit der Glühwürmchen

Streng genommen war ich ein „Poseur“, denn ich habe es geschafft ein Jahrzehnt in der Szene zu verbringen ohne je was von Specimen oder The March Violets gehört zu haben. Das lag daran, dass ich mein Wissen aus Musikzeitschriften wie Orkus und Sonic Seducer zog und die konzentrieren sich logischerweise weniger auf die 80er und 90er, sondern mehr auf neue Veröffentlichungen. Und in den Nullerjahren, das ist kein Geheimnis, war Goth-Rock-technisch eher wenig los. Es war die Zeit des Alternative Metals, des Aggrotechs und der Glühwürmchen. Aber auch Deine Lakaien waren groß in der Zeit und wurden zu meiner Lieblingsband. Als ich erfuhr, dass der Deine-Lakaien-Sänger Alexander Veljanov Deutsch-Mazedonier ist, bin ich völlig durchgedreht. Ich hatte plötzlich ein postmigrantisches Vorbild! Und dank Veljanovs Solo-Album „Porta Macedonia“ wussten immerhin ein paar Alman-Gruftis neuerdings, wo Mazedonien liegt.

Goth ist unpolitisch? Ohne mich!

Ab 2012 begann mich die Schwarze Szene ein wenig zu langweilen. Aber distanziert habe ich mich erst nach dem WGT 2013. An jeder Ecke hörte ich wie sich Leute über Feminismus, Anti-Rassismus und die LGBTI-Community aufregten, wie sie SS-Uniformen als Teil eines Goth-Outfits verteidigten und jede Band aus dem rechten Spektrum als „provokativ“ oder „ironisch“ relativierten. „Goth ist unpolitisch!“ war die Parole und die konnte ich nicht unterschreiben. Nicht nur, weil ich finde, dass das einseitig, undifferenziert und falsch ist, sondern auch, weil ich der Meinung bin, dass diese Haltung nur dazu dient rechte Tendenzen in der Szene zu verschleiern. Ich könnte das unpolitischste Stricktreffen des Jahrhunderts organisieren und würde trotzdem Nazis rausschmeißen, falls welche kämen. Die Frage ist nicht, ob Goth „dem Wesen nach“ politisch ist, sondern, ob man als Community Nazis tolerieren will oder nicht. Den Raum für solche Auseinandersetzungen fand ich in dieser Szene leider nicht.

Also verabschiedete ich mich. Jetzt waren meine Haare pink und statt mehrerer Lagen Spitzenkleidung trug ich mehrere Lagen Leopardenmuster übereinander. Ich hörte Riot-Grrrl-Punk und Peaches und war hauptsächlich in der queer-feministischen Szene unterwegs. Dort traf ich oft Ex-Gruftis, die sich ebenfalls aus politischen Gründen aus der Szene zurückgezogen haben.

Die Goth-Renaissance mit She Past Away, Lebanon Hanover und Co.

Alles änderte sich als mich meine Partnerin vor zwei Jahren gebeten hatte eine Batcave-Playlist für ihre Halloweenparty zu erstellen. Während ich mich durch’s Goth-Universum auf Youtube klickte, hatte ich zwei Erkenntnisse:

1. In meiner Goth-Teenie-Zeit sind so unglaublich viele Classics völlig an mir vorbeigegangen, wie Gene Loves Jezebel, Death Cult, Skeletal Family, Virgin Prunes, And Also The Trees oder die bereits erwähnten Specimen und The March Violets. Das wollte ich jetzt nachholen.

Und 2. Goth-Rock und Darkwave erleben seit ein paar Jahren mit Bands wie She Past Away, Lebanon Hanover, Light Asylum, Selofan, Sixth June oder Angels of Liberty eine Renaissance und das hatte ich überhaupt nicht mitbekommen! Die Goth-Revival-Bands stehen offen zu ihren Einflüssen aus den 80ern, trauen sich Genre-Grenzen zu überschreiten und kleiden den Postpunk und Darkwave in ein modernes Gewand. Sie haben bewiesen, dass Goth entgegen der Behauptungen vieler Musikjournalist*innen, noch lange nicht tot ist.

Innerhalb kürzester Zeit war mein Kleiderschrank wieder düster-angehaucht, allerdings weiterhin mit viel zu viel Leopardenmustern und ohne die viktorianisch-inspirierte Kleidung, die ich einfach nicht mehr sehen kann. Goth-Klassiker wie „Only Theatre of Pain“ von Christian Death oder „Ghost Dance“ von Death Cult liefen bei mir in Dauerschleife und für die Revival-Bands wie Lebanon Hanover hatte ich direkt Konzertkarten organisiert. Doch ich entdeckte auch noch etwas anderes: Die USA-basierte Online-Goth-Community.

Da sind sie, die politischen Gruftis!

Diese Community schien viel offener für politische Themen zu sein. Meine Vermutung ist: Das liegt daran, dass es in den USA viel normalisierter und üblicher ist über Rassismus zu sprechen. Das bedeutet nicht, dass die Kacke da weniger am dampfen ist, sondern lediglich, dass historisch-bedingt eine andere Diskurskultur herrscht. Vielleicht liegt es auch daran, dass der Death Rock in den USA zuhause und stärker im politischen Punk verankert ist? Aber das ist nur Spekulation. In dieser Community scheint die Bereitschaft jedenfalls höher zu sein über den Elefanten im Raum zu sprechen. Ich bin großer Fan von dem Podcast „Cemetery Confessions“ und empfehle ihn allen Goths weiter, die gut Englisch verstehen und sich nach kritischen Auseinandersetzungen mit der Subkultur sehnen. Der*die Host Count hat mit verschiedenen Gästen, darunter Betroffenen und Expert*innen, schon über Sexismus im Industrial/EBM und über rassistische Ausschlüsse in der Szene gesprochen, weniger bekannte Schwarze Goth-/Postpunk-Musiker*innen empfohlen (z. B. Scary Black und Special Interest), trans Personen den Raum gegeben über ihren Zugang zur Subkultur zu sprechen und in einer Episode versucht eine Antwort auf die Frage zu finden: Ist Goth politisch? (Spoiler: Es ist kompliziert.) Aber auch, wenn er*sie gerade nur ein neues Album rezensiert oder sich mit dem Co-Host über die Anfangszeit des Batcaves unterhält – es ist ziemlich erfrischend mitzubekommen wie viel Reflexion, Commitment und nerdiger Enthusiasmus in diesem Projekt stecken.

Mitmischen statt zurückziehen

In gewisser Weise hat mich der Podcast, zusammen mit dem musikalischen Goth-Revival und anderen Diskursen aus der Online-Community, ermutigt mich dieser Subkultur erneut zuzuwenden. Anstatt mich zurückzuziehen, möchte ich jetzt mit der Szene interagieren und die politischen Diskussionen anstoßen. Vielleicht kann ich mit anderen Leuten ein Zine veröffentlichen? Die „Gruftis gegen Rechts“ wiederbeleben? Mich mit den Leuten vom DIY-orientierten „Gothic Pogo Festival“ zusammentun? Dunja Brill zum Thema Geschlechterverhältnisse in der Schwarzen Szene interviewen? Über die queere Postpunk-/Gothszene mit Musiker*innen wie Petra Flurr berichten? Oder alle daran erinnern, dass Love Like Blood einen anti-rassistischen Goth-Rock-Song geschrieben haben, den man mal mehr appreciaten könnte? 😉 Es gibt so viele Möglichkeiten! Und ich bin so enthusiastisch und nerdig wie noch nie!


Du hast nichts vom Goth-Revival mitbekommen? Dann schau dir meine Playlist an. 🙃 Zum Schluss habe ich eine Empfehlung für eine Postpunk-Revival-Band, die mich ziemlich beeindruckt hat: Whispering Sons aus Belgien.