Gezeichnet (Kurzfilm)
Gedanken zu meinem Kurzfilm „Gezeichnet“
(gedreht: September 2012, 9. Internationales Kino Kabaret Berlin)
Dieser Film bearbeitet das Gefühl, die Wut, den Wunsch, sich all die schmerzlichen Spuren, die die Sozialisation hinterlassen hat, wegwischen zu wollen. Wie wäre es, könnte ich mir einfach die Nationalität abwischen, den Migrationshintergrund, den Leistungsdruck, die Geschlechterrolle? Mich einfach von Zuschreibungen, Geltungsdruck, Schönheitsidealen, Beziehungsnormen, Sexualmoral, Kindheitstraumata, familiärem Druck, Fernsehsozialisation, Hierarchien etc. lösen?
Ich mag es nicht, eine eindeutige Antwort darauf zu geben, wie dieser Film interpretiert werden soll, es gab jedoch vor allem zwei Lesarten, die sich während der Gespräche mit verschiedenen Zuschauer*innen herauskristallisiert haben und die ich beide sehr interessant finde:
Die eine Interpretation ist, dass der Film eine Wunschrealität zeigt, in der es tatsächlich möglich ist sich von Zuschreibungen zu befreien. Die Protagonistin wischt sich alles von der Haut, was sie einengt und rasiert sich die Haare ab, um vollkommen nackt, ein unbeschriebenes Blatt, zu sein, zu ihrem ursprünglichen Ich zu finden. In der Szene, in der ich, bzw. die Protagonistin auf dem Boden kauert, stellt sie einen Fötus dar. Das deutet darauf hin, dass sie wiedergeboren wird, vielleicht im gleichen Leben, vielleicht in nächsten, vielleicht in einer besseren Welt, wo sie neu anfangen und frei von Zwängen und Kategorisierung leben kann. Die übrig gebliebenen Farbspuren auf ihrer Haut weisen darauf hin, dass eine Prägung tiefer liegt als die andere und nicht alles komplett ausradiert werden kann.
Die weniger optimistische Variante ist, dass es sich um eine emotionale Krise handelt: Als die Protagonistin alle Normen, Zwänge etc. von ihrer Haut gewischt und ihre Haare abgeschnitten hat, weil auch die Frisur Produkt der kaputten Gesellschaft ist, merkt sie, dass sie im Grunde ihre Identität abgewischt hat und nichts mehr übrig bleibt. Denn alles, was sie ist, auch alles gute, ist sie aufgrund ihrer Sozialisation. Dass sie sich z.B ihre Migrationsgeschichte abgewischt hat, befreit sie vielleicht von Diskriminierung, aber es entsteht eine Kluft in der Identität. In einer völligen Krise kauert sie sich zusammen und sieht keinen Ausweg, weil das „Ich“, das auf ihrem Nacken steht, nichts bedeutet. Sie hat ihre ganze Sozialisation dekonstruiert, doch hat nichts, worauf sie ihre neue Identität aufbauen kann.
Ich finde, beide Lesarten funktionieren und beide (leicht variiert) habe ich schon ähnlich oft gehört. Vielleicht ist es eine ähnliche Frage wie: „Ist das Glas halbvoll oder halbleer?“. Ich hatte jedoch noch einen weiteren Ansatz beim Dreh, der nicht mit den beiden vorherigen Interpretationen im Konflikt steht, sondern sie ergänzt
Dieser Film war für mich nämlich nicht nur ein Kurzfilm, er war auch eine Performance. Bei einer Performance liegt der Schwerpunkt oft weniger auf der Interpretation (bzw. sie ist bewusst offen gehalten), sondern es geht mehr darum, was in dem Moment passiert, also um den Akt, die Körpersprache, die Emotionen, die ausgedrückt werden… Ich glaube, hätte ich anstatt einen Film zu machen in einer Kunstgalerie performt, würde der gleiche Inhalt anders rezipiert werden: Ich selbst war in dem Moment meine Protagonistin und wollte mich von gesellschaftlichen Zwängen befreien, was ich symbolisch auch getan habe.
Es war ein Film, in dem ich nackt vor der Kamera stand und mir die Haare abrasiert habe, ein Film, wo ich also viel Mut schöpfen musste. Auch wenn ich nach dem Dreh wieder die gleiche Person, mit den selben Privilegien, Benachteiligungen und Erfahrungen war, der Akt sich diese Wörter von der Haut zu wischen war Empowerment. Die Tatsache als Person, die nicht normschön ist, nackt vor der Kamera zu stehen, und zu denken: „Ja, diesen Film sollen viele Menschen sehen!“, sich die Haare abzurasieren, somit eine persönliche Grenze zu überschreiten und sich noch weiter von dem Schönheitsideal zu entfernen, nach und nach immer weniger Schamgefühl zu haben, wenigstens symbolisch mit allem aufzuräumen, was eine einengt und sich immer wieder zu sagen: „So seh ich aus, so bin ich und dazu stehe ich!“, allein das war ein Akt der Befreiung.
Ich hatte großes Glück an eine Kamerafrau gekommen zu sein, die im Pornobereich Erfahrungen hatte und somit die Reste meines vorhandenen Schamgefühls vertreiben konnte. Mal wieder war die ansteckende Energie des Kino Kabarets am Gange: Zwei Tage vorher hatte ich die Idee, einen Tag vorher hatte ich mir die Wörter überlegt und die Haarschneidemaschine organisiert und ab da gab es kein Zurück mehr. Hätte ich mehr Zeit zum überlegen gehabt, wär ich vermutlich ins Zweifeln gekommen und hätte mich nicht von meinen Haaren verabschieden können.
Danke stressiges Kino Kabaret, danke Kamerateam, danke Freund*innen, die mich unterstützt haben, danke ich, für diesen großartigen Arschtritt und das Ergebnis, das sich sehen lässt!
Ich bin eine Journalistin aus Berlin und blogge über den Balkan und Ex-Jugoslawien aus postmigrantischer Perspektive, Queer-Feminismus, LGBTIQ-Themen, Kreatives Schreiben und Goth & Postpunk.