Ist Antislawismus eine Form von Rassismus?
Kann man bei Antislawismus genauso von Rassismus sprechen, wie im Fall von anti-schwarzem oder anti-muslimischem Rassismus? Das ist eine spannende Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist: Einerseits gibt es die Abwertung und Diskriminierung von Slaw*innen. Anderseits sind die meisten Slaw*innen weiß und profitieren von ihrem Weißsein.
Wegen dieser Komplexität und Uneindeutigkeit habe ich mich an dieses Thema nie so richtig rangetraut. Heute ändert sich das!
Zunächst muss man klar sagen: Ja, Antislawismus als eine Form von Rassismus gibt es. Einige werden sicherlich schon mal davon gehört haben, dass Slaw*innen in der Rassenlehre als „mindere Rasse“ oder „Barbaren“ galten. Strukturellen Antislawismus hat es ganz klar in der Geschichte gegeben. Sichtbar ist er besonders in den Veränderungen von Ortsnamen und in der Ausradierung slawischer Geschichte und Identität, wie sie in Deutschland geschehen ist: Die sorbische Minderheit wurde im Nationalsozialismus gezwungen sich zu „germanisieren“, deutsche Namen anzunehmen und ihre Identiät aufzugeben.
Ein anderes Beispiel ist der griechische Bürgerkrieg: In den 1950er Jahren kam es in Griechenland zur Umbenennung mazedonischer Orts- und Familiennamen und zum Verbot der mazedonischen Sprache. Die Familie meines Großvaters hatte sich geweigert einen griechischen Namen anzunehmen, wurde vertrieben und hat ihr Grundstück verloren, das im heutigen Lemos steht. Diese Praxis war nicht nur nationalistisch und klar anti-mazedonisch, sondern auch antislawisch.
Meist ergänzt sich Antislawismus mit anderen Machtstrukturen wie Anti-Kommunismus. Deutlich wird das vor allem in der abwertenden Darstellung von Slaw*innen (besonders Russ*innen) in der Popkultur. Es mag den einen oder die andere überraschen, aber auch die Überschneidung mit Antisemitismus ist üblich.
“One anti-semitic claim was that Serbs were part of a social-democratic, masonic Jewish internationalist plot.“
Wikipedia-Artikel zu Antislawismus, Abschnitt über den italienischen Faschismus.
Hinzu kommt Balkanismus: Der Begriff geht auf die Historikerin Maria Todorova zurück und bezeichnet eine Form von Orientalismus (nach Edward Said), die sich über die Exotisierung, Romantisierung und Abwertung des Balkans, also Südosteuropas, definiert. Ein Symptom davon ist der Begriff „Balkanisierung“ als Synonym für Konflikte und Chaos. Balkanismus setzt sich wiederum aus weiteren Machtstrukturen zusammen wie Antiromaismus, Antislawismus, Islamfeindlichkeit, Antisemitismus, Anti-Kommunismus usw. Dass weiße Migrant*innen aus Belgien in Deutschland kaum Diskriminierung erleben im Vergleich zu weißen Migrant*innen aus Bulgarien oder Griechenland, hat mitunter mit Balkanismus zu tun.
Die Idee, dass die Jugoslawienkriege durch uralte, immerwährende ethnische Konflikte ausgelöst wurden statt die ethnischen Konflikte als Resultat politischer Ideologien und Umbrüche zu sehen, ist meiner Meinung nach balkanistisch und antislawisch: Die ethnischen Konflikte bekommen etwas absolutes und essentialistisches, als sei es die Natur der slawischen „Barbaren“ sich die Köpfe einzuschlagen, im Gegensatz zum vernünftigen Westen.
Allerdings gibt es noch die andere Seite der Medaille: Die Konstruktion des Slawen als weiß und christlich, mit dem gleichen rassistischen Gedankengut wie im Rest Europas. Das kann sogar so weit gehen, dass slawische Faschos behaupten die Slawen seien die wahren Arier und es wären bloß die Juden gewesen, die eine slawische Koalition mit Hitler verhindert hätten. (Begegnet ist mir das als ich mich über polnischen NSBM, Nazi Black Metal, informiert habe.) Das ist heftig! Update: Die kroatische Diplomatin Elizabeta Mađarević hat sich zum Beispiel im Sommer 2019 einen Fauxpas geleistet, als ihre Schwärmereien von einem „weißen Kroatien“ publik wurden.
In Mazedonien wird das Bild des slawischen, weißen und christlichen Mazedoniers aufrechterhalten, um die Zugehörigkeit zum weiß-dominierten Europa zu legitimieren, wodurch Minderheiten wie Romnija, Aromun*innen, Bosniak*innen, Albaner*innen und Muslim*innen unsichtbar gemacht werden. Ironischerweise ist die schlechte Minderheitenpolitik in Mazedonien nicht gerade förderlich für die EU-Beitrittschancen.
Während es einerseits immer noch Antislawismus gibt, sind (viele) Slaw*innen weiß und christlich genug, um sich davon zu distanzieren und privilegiert genug, um keine rassistische Gewalt zu erleben. Slaw*innen haben viele Vorteile als „europäisch genug“ zu gelten, während sie gleichzeitig im Schatten Europas stehen, als „das andere Europa“.
Slawische Identität kann anschlussfähig an rassistische und nationalistische Ideologien sein. Ich habe dennoch jedes mal Bauchschmerzen, wenn Almans mit dem Zeigefinger nach Osteuropa zeigen, das ja sooo rückständig und nationalistisch sei und dabei vergessen, dass Nationalismus eine westeuropäische Erfindung ist und es westlich geprägte Bildungseliten waren, die den Nationalismus in (Süd-)Osteruopa verbreiteten.
Quellen und Linktipps
- Christian Dornbusch, Hans-Peter Killguss: Unheilige Allianzen. Black Metal zwischen Satanismus, Heidentum und Neonazismus. Unrast Verlag, Münster 2005 (S. 239 – 250)
- hagalil.com: In alter Tradition: Sorbenfeindlichkeit (2012)
- balkanist.net: Skopje 2014: Tragedy or Farce? (2014)
- oe1.orf.at: Balkanisierung und balkanische Verhältnisse (2017)
- bbc.com: Greece’s invisible minority – the Macedonian Slavs (2019)
- neues-deutschland.de: Kroatiens weiße Ritterin (2019)
Dieser Beitrag war ursprünglich ein Twitter-Thread, den ich für meinen Blog redigiert und in Teilen umgeschrieben sowie verlängert habe. Den Twitter-Thread findet ihr hier.
[…] Menschen mit Ostblock-Geschichte eint häufig die Erfahrung von antislawischen Rassismus – und das unabhängig davon, ob sie sich als „slawisch“ definieren, oder nicht. Gleichzeitig haben viele PostOst-Menschen das Privileg, äußerlich als Weiße gelesen zu werden. Paula Balov hat auf ihrer Website eine Einführung zu dem Thema veröffentlicht. […]
Vielen Dank für die Erwähnung und Verlinkung!
Hallo, leider wird auch in der deutschsprachigen akademischen Slawistik oft noch ein Bild von „den“ Slaw*Innen vermittelt, das auf Klischees und Fremdbeschreibungen beruht. Interessant fand ich außerdem die Ansichten Slavoj Žižeks über Südosteuropa.
[…] darüber zu kippen. Für uns gibt es genügend andere Gelegenheiten, um über Diskriminierung wie Antislawismus zu sprechen, ohne dabei marginalisierten Gruppen den Raum zu […]
[…] **http://herzbrille.paula-balov.de/2016/05/06/ist-antislawismus-eine-form-von-rassismus/ […]
Mit großem Interesse habe ich das Thema das Artikels und deine Gedanken dazu gelesen.
Aus meiner Sicht ist Anti-Slawismus genauso wie Antisemitismus ein zentrales europäisches Problem in der Debatte um Ausgrenzung und Stigmatisierung.
Was in (West-) Europa beispielsweise so gut wie gar nicht thematisiert wird ist, dass die systematische Unterdrückung und Tötung von Slawen genauso Agenda der NS-Zeit war wie die der jüdischen Gemeinschaft. Und insgesamt wurden auch mehr (nicht-jüdische) slawische Zivilisten systematisch getötet als jüdische. Leider wird unter dem Begriff Holocaust dennoch – meist – „nur“ die Tötung der jüdischen Opfer verstanden und ihrer gedacht.
Dass Millionen von Slawen erschossen oder vergast wurden, ist leider viel zu selten Thema, selbst in Schulen wird das nicht herausgestellt. Polen hat prozentual beispielsweise am meisten Einwohner verloren und die größten Verluste an Kultur und Infrastruktur davongetragen, doch das wird im deutschen Schulsystem kaum vertieft. Zumeist wird die Judenverfolgung in Deutschland thematisiert (was genauso wichtig ist), dabei hat die jüdische Bevölkerung nur 0,25% bei Kriegsbeginn ausgemacht. Polen hat mehr als 20% der Einwohner verloren – jede/r fünfte Pole/Polin wurde umgebracht!
Allein das zeigt, wie unwichtig und ausgegrenzt die slawische Gemeinschaft immer noch ist, selbst im historischen Diskurs. Mich macht das fassungslos.
[…] war auch eine gute Gelegenheit, um im Panel-Talk auf Themen wie Homonationalismus, Balkanismus und Antislawismus (in der queeren Community) […]