Brief an mein Schreiben

Brief an mein Schreiben

8. August 2017 0 Von Herzbrille

Beinahe hätte ich dich an den Zweifeln und Elitismus verloren. Doch ich habe mir eine dicke Haut zugelegt, den Mittelfinger gespitzt und mich an eine fast vergessene Weisheit erinnert: Schreiben darf Spaß machen!

Ich sitze schreibend am See

Ich sitze am See und schreibe… nur so, weil es Spaß macht.


Wir hatten unsere Startschwierigkeiten. Kaum hatte ich gelernt den Kamm des E in die richtige Richtung zu setzen, kam uns die Schönschrift mit Füllfederhalter dazwischen. Doch eines Tages merkte die Lehrerin an, ich hätte Fantasie. In meinem Aufsatz hatte Fine nämlich einen „Tediberen“ und der war verzaubert und konnte sprechen. Als „ausländisches Kind“ wurde ich lange für mein rollendes R verspottet, doch offensichtlich spielte das keine Rolle mehr, wenn ich Stift und Papier in die Hand nahm. Ich war dir schnell mit Haut und Haaren verfallen und bald schrieb ich etwas, das sich sogar fast reimte! Mutti, selbst Autorin, war völlig aus dem Häuschen. Von nun an erzählte ich jedem: „Wenn ich groß bin, werde ich Schriftstellerin“, ungeahnt der fürchterschrecklichen Entsetzlichkeiten, die mir noch bevorstanden.

Ich war jung, du skandalös

In der Pubertät tat ich wenig anderes als Tagebücher mit meinem geplagten Gothic-Dasein zu füllen. Anders an jenem verhängnisvollen Tag in der 7. Klasse, da versuchte ich meiner Sitznachbarin den Unterricht zu versüßen. Auf einem Zettel verewigte ich alle Obszönitäten, die in einem pubertierenden Gehirn so keimen. Wie wir ja jetzt wissen, hatte ich Fantasie. Dummerweise waren die Akteure die halbe Lehrerschaft und Herr Müller der Star meines Erstlingswerks. (Tina Belcher hätte mich verstanden!) Er hatte das Verbrechen begangen Mathelehrer zu sein. Es kam wie es kommen musste und der Zettel landete auf seinem Schreibtisch. Möge das Schicksal die Petze längst bestraft haben!
Während der Gespräche, die ich mit hochroten Kopf ertrug, um einem Schulverweis zu entgehen, piekte mich mein Klassenlehrer (nicht Herr Müller) in die Seite und flüsterte: „Du kannst gut schreiben! Vielleicht schreibst du beim nächsten mal ja was… Vernünftiges.“
Du hattest dich mir in der dunkelsten Stunde meiner Schulkarriere offenbart! Vielleicht war das ein Hinweis auf meine mögliche, wahre Bestimmung als Schmuddelautorin. Die Versuche in die Richtung waren jedoch weniger erfolgreich, weil ich vor jedem Satz um mich schaute, ob nicht doch Herr Müller kopfschüttelnd im Raum stand.

Die große Beziehungskrise

Wenige Jahre später wurde es ernster mit uns. Ich besuchte alle Schreib-AGs, Wochenend-Kurse und Schreibwerkstätten für Jugendliche, die ich fand. Das Spezi (von „Spezialist“), ein Ferienlager für Schüler_innen aus Berlin und Brandenburg, prägte mich ganz besonders. Gleichgesinnte, Text-Feedback, Graubrot und Früchtetee – was gibt’s besseres? Doch mein Leidensweg hatte gerade erst begonnen. Eine Seminarleiterin sagte einmal: „Wir könnten darauf achten einander nicht zu verletzen, aber schließlich geht es hier UM KUNST!“
Eine konstruktive Debattenkultur war das Ziel, doch ich habe mehr Ideen im Keim ersticken als wachsen sehen. Begriffe wie „Poetry Slam“ oder „Genre-Literatur“ wurden zähneknirschend ausgesprochen und die Orga klopfte sich auf die Schulter, weil „sogar ein Realschüler“ teilnahm. Ich habe selten einen so aufgeblasenen Haufen kennengelernt, dabei betreibt mein Vater eine Galerie! Plötzlich war ich nicht mehr die Gruftiegöre, die Gedichte und Kurzprosa schrieb, sondern wieder die Migrantin: „Wie witzig, dass du das Wort nicht kennst! Wie Alina, die ist aus der Ukraine, die kennt auch manchmal Wörter nicht.“
Ich hatte die Eintrittskarte für den Eliteverein schon in den Händen. Ich musste nur mitspielen: Beschwer dich nicht, vergiss Selbstbestimmung am eigenen Text und halt die „Wir-ham-uns-alle-lieb“-Fassade aufrecht. Was hast du darunter gelitten! Du begannst zu streiken. Jedes mal versprach ich dir, dass dies mein letztes Spezi sein würde und ging doch wieder hin.
Der Vorstand prahlte gerade vor Geldgebern, wie wichtig es dem Verein sei, dass die Schüler_innen das Schreiben nicht aufgaben, da hallte es in meinem Kopf: „Töpfern! Vergiss das Schreiben, das tut nur weh. Töpfern ist gut!“

Wir wurden trotzige Rebellen

Zu unserem Glück besuchte der Autor Anselm Neft die Schreibwerkstatt, um den Schüler_innen Ratschläge mit auf den Weg zu geben. Jemand fragte nach seinem Tipp gegen Selbstzweifel. Die Antwort ließ mein Innerstes aufblitzen: „Trotz!“ Welch wundervolles Wort! Ich musste vielleicht gar nicht töpfern! Und so schrieb ich trotzdem, mit Wut im Bauch, bis ich zu alt für den Verein wurde.
Neben dem inneren Herr Müller hatte sich die Spezi-Stimme als Zensor längst in meinem Kopf etabliert, doch würde es noch schlimmer werden. Die Uni – die berühmten schönsten Jahre, wo man einen Satz liest und sich defizitär fühlt, einen Satz schreibt und sich defizitär fühlt… hach! Der Brennpunkt der Verschwurbelung und akademischen Szenecodes – kaum zu unterscheiden von linken Polit-Gruppen. Die vorwurfsvolle Frage, was denn mein Gedicht zur Revolution beitrüge, ging mir so schnell nicht aus dem Kopf. Der innere Adorno verbot mir das Schreiben. Doch Bäm, ich hatte meine Lektion gelernt und auch jetzt genügend Trotz gesammelt, um weiter zu machen.

Du darfst Spaß machen!

Ich entdeckte Lyrik und Kurzprosa neu, außerdem das Bloggen und journalistisches Schreiben. Als ich in einem queer-feministischen Spoken-Word-Kurs landete, lernte ich, dass Text-Feedback nichts mit Demütigung zu tun haben musste. Ich hatte dich wieder und da gab es Leute, die wollten mir für meine Texte sogar Geld geben.
Inzwischen habe ich genügend Trotz gesammelt, um einfach nur für dich zu schreiben – weil mir ein Thema unter den Nägeln brennt, weil ich meinem Dungeons & Dragons Charakter eine Background-Story geben will, weil ich das homoerotische Potential von Westeros ausloten will, weil Skopje eine spannende Stadt ist, weil ich für die Schublade schreiben darf, weil es Spaß macht.
Du bist es und warst es schon immer – du wankelmütiger und doch beständiger Begleiter. Für nichts in der Welt würde ich dich mit dem Töpfern eintauschen!