Mehr Mut zu Komplexität: Eine polyamouröse Kritik an „You Me Her“
Die fünfte Staffel von „You Me Her“ ist seit Oktober draußen. Die US-amerikanisch-kanadische Serie gilt als erste „polyamouröse Romantic Comedy“ und versucht gleichzeitig leichtfüßig-charmant zu sein und polyamouröse Lebensweisen darzustellen. Das funktioniert mal mehr, mal weniger gut. Ideen sind da, doch in entscheidenden Momenten traut sich die Serie zu wenig.
Aber erst mal ein kurzes Recap für alle, die vergessen haben, worum es geht: Bei Vorstadt-Pärchen Jack und Emma läuft‘s nicht mehr im Bett. Jack macht deshalb heimlich ein Escort-Date klar, um seine Fantasie anzuregen und beichtet es hinterher seiner Frau Emma. Diese will nun auch das Escort-Date kennenlernen und findet die Dame namens Izzy ziemlich hot. Izzy findet das Vorstadt-Pärchen auch toll und so verknallen sich alle ineinander und das Projekt Dreiecksbeziehung beginnt.
Wohin mit diesen Bisexuellen?
Wer bei der Prämisse „zwei Frauen, ein Mann“ schon mit den Augen rollen muss, dem kann ich sagen: „You Me Her“ hat viele Probleme, aber dieses Klischee ist das kleinste. Die Serie macht schnell deutlich, dass es hier nicht um eine Männerfantasie gehen soll, sondern weibliche Queerness ernstgenommen wird: Als Zuschauer*innen bekommen wir einen Einblick in Emmas Dating-Geschichte mit Frauen und kriegen mit, wie sich Emma und Izzy beide als bisexuell bezeichnen (was für Serien schon eine Errungenschaft ist).
Es gibt also bisexuelle Repräsentation, aber atemberaubend ist sie deshalb noch nicht. Zu oft erweckt „You Me Her“ den Eindruck als wüssten die Macher*innen nicht so recht, was sie mit den bisexuellen Charakteren machen sollen. Anstatt einem Konflikt Raum zu geben, weichen sie auf Stereotype aus. So ist Jack zum Beispiel eifersüchtig auf Izzys und Emmas Beziehung. Seine Freunde füttern ihn mit der Angst, seine Frau könnte in Wahrheit lesbisch sein und ihn verlassen. Was eine großartige Gelegenheit gewesen wäre, die Themen Eifersucht in polyamourösen Beziehungen oder bifeindliche Vorurteile anzugehen, wird von einer einfallslosen Wendung überdeckt: Emma outet sich als lesbisch und verlässt Jack und Izzy tatsächlich. Nur, um in der nächste Staffel festzustellen, dass sie doch bisexuell ist, und ihre neue Partnerin zu verlassen. Diese wirft ihr an den Kopf eine „Tourist Lesbian“ zu sein. Die bisexuelle Frau als wechselhafte „Tourist Lesbian“ ist nun wirklich nicht die Bi+Repräsentation, auf die wir alle gewartet haben.
Gute Schlampen, schlechte Schlampen
Diese Vorgehensweise ist exemplarisch für die ganze Serie: Immer, wenn ein bisschen Mut gefragt wäre, um tatsächlich etwas Neues zu erzählen, versteckt sich „You Me Her“ hinter Klischees. Dass Izzy als Escort arbeitet, ist zum Beispiel tatsächlich interessant und birgt viel Konfliktpotential: Sind Emma und Jack eifersüchtig auf Izzys Kund*innen? Haben sie Vorurteile gegen Sexarbeiter*innen? Wie geht Izzy mit dem Stigma um?
Aber leider stellt „You Me Her“ keine dieser Fragen, sondern erinnert uns bei jeder Gelegenheit daran, dass Izzy ein Escort und keine Prostituierte ist und das etwas ganz, ganz anderes sei. Besser wird es nicht, als das Trio in einem Seminar andere polyamouröse Menschen kennenlernt und mit der Erwähnung des Wortes „Swinger“ einen Chor aus Buh-Rufen beschwört: Die Polyams in dem Universum von „You Me Her“ wollen unter keinen Umständen in einem Satz mit Swingern genannt werden. Wäre die Serie doch nur halb so interessiert daran, die verschiedenen Aspekte von Bisexualität und Polyamorie zu ergründen, wie die Sexualmoral von vorgestern aufzuwärmen …
So viel Monodrama!
Dass Izzy, Emma und Jack andere polyamouröse Menschen kennenlernen, ist eine der besseren Ideen von „You Me Her“. Bis dato waren die Nebencharaktere eine triste Sammlung monogamer Heteropaare auf dem Selbstfindungstrip, kleinkarierter Kleinstädter und tratschender Nachbarn, mit nur wenigen Ausnahmen (Izzys beste Freundin Nina). All das ist sicherlich als Kontrast zum polyamourösen Plot gedacht, und Vorstadt-Drama kann sehr unterhaltsam sein. Aber hier geht es um „You Me Her“, nicht um „Desperate Housewives“: Die Nebencharaktere sind nicht so spannend, wie sie spießig sind. Auch das zugezogene, schwule Paar trägt wenig Neues bei, obwohl ich eine weitere queere Perspektive sehr vielversprechend fand.
Und die Charaktere aus dem Polyam-Seminar? Es bleibt leider bei nur einer Episode. Der Seminar-Leiter hat in der letzten Staffel zwar ein Comeback, aber nur als Karriere-Coach, der mit Polyamorie nichts mehr am Hut haben will. Schade. Bemerkenswert ist außerdem, dass alle Seminar-Teilnehmenden Dreiecksbeziehung zu führen scheinen, obwohl geschlossene, polyamouröse Beziehungen (Polyfidelity) viel seltener sind als Konstellationen, in denen nicht alle Beteiligten zusammen sind. Ich sehe das als verpasste Chance, Polyamorie in ihrer Vielfalt darzustellen. Wäre es so undenkbar gewesen, einen oder zwei Charaktere in offenen Ehen oder anderen polyamourösen Konstellationen einzuführen?
Die monogamen Beziehungsdramen der Nebencharaktere erzählen nichts, was wir nicht schon hundertfach in anderen Romcoms (besser ausgeführt) gesehen haben. Eine weitere nicht-monogame Perspektive wäre also nicht nur ein Pluspunkt für die polyamouröse Repräsentation gewesen, sie hätte auch die Nebenplots interessanter gemacht.
Eiertanz um Konflikte
Die letzte Staffel hat die wahrscheinlich größte Schwäche von „You Me Her“ offenbart: Konfliktlösungen. Die Konflikte innerhalb der Dreiecksbeziehung werfen eigentlich spannende Probleme auf: Izzy erfährt gegen Ende der vierten Staffel, dass Jack und Emma, die zu dem Zeitpunkt schwanger ist, keine weiteren Kinder wollen. Izzy wünscht sich aber ein eigenes Kind. Außerdem fühlt sich Izzy in der Vorstadt unwohl, aber Jack und Emma wollen nicht wegziehen. Izzy hat zunehmend das Gefühl, das Leben von Jack und Emma und nicht ihr eigenes zu führen, und trennt sich.
Dieses Problem ist vor allem deshalb spannend, weil es keine polyamourösen Beziehungsskripte und Vorbilder gibt: Als Polyam fühlst du dich oft so, als müsstest du das Rad neu erfinden. Aber leider wirkt die ganze fünfte Staffel wie ein Eiertanz um diesen Konflikt und wird von Jacks und Emmas eher peinlichen Versuchen, Izzy zurückzuerobern begleitet. Die final präsentierte Lösung (Jack und Emma ziehen nach San Diego, wo Izzy eine Stelle als Sozialarbeiterin angenommen hat) ist deshalb nicht so befriedigend wie sie sein könnte. Was haben die Charaktere gelernt? Wie gehen sie in Zukunft Probleme dieser Art an? All das bleibt in der Schwebe. Eine Regel im Story-Telling ist: Baue Spannung nicht nur darüber auf, dass die Charaktere nicht miteinander kommunizieren. Leider scheint „You Me Her“ genau das ziemlich oft zu tun.
Fazit
Trotz dieser Kritikpunkte ist „You Me Her“ meiner Meinung nach weit davon entfernt, Zeitverschwendung zu sein. Als erste „polyromantic Comedy“ versucht die Serie etwas zu erschaffen, was es in dieser Form noch nicht gab. Vor allem für diejenigen, die selbst eine polyamouröse Geschichte schreiben wollen, kann „You Me Her“ lehrreich sein: Es ist sehr leicht erkennbar, an welchen Stellen nur ein kleiner Blick über den Tellerrand gereicht hätte, um eine bessere polyamouröse und bisexuelle Repräsentation zu kreieren.
Lasst uns „You Me Her“ also als Versuch begreifen, der jede Menge Material bietet, um daran anzuknüpfen, und der hoffentlich andere Autor*innen und Serienmacher*innen dazu inspirieren wird, die guten Ansätze mit etwas mehr Mut zu Komplexität weiterzudenken.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen im BiJou Magazin #37