Integra- was?!

Integra- was?!

28. November 2013 4 Von Herzbrille

Der folgende Text ist eine Rede, die ich bei der Eröffnung der Ausstellung meines Vaters „Meta Portrait“ im Kulturhaus Spandau gehalten habe. Ausgestellt wurden die hyper-realistischen Porträts, die seit 2007 entstanden sind. Diese können in mehrere Zyklen gegliedert werden, wie etwa Familienporträts („My first circle“), Selbstporträts („Ego sum qui sum“) oder der Zyklus „With my eyes“, mit Abbildungen von Rauch, Schinkel, Shadow und Menzel.

Mein Vater fragte mich im Vorfeld, ob ich nicht bei der Eröffnung „etwas zu Integration“ sagen wollte, weil ein paar Politiker*innen da sein würden, er um einen Redebeitrag gebeten wurde, aber nicht besonders viel Lust darauf hätte. Ich antwortete: „Also, wenn ich ehrlich sein darf, Papa… ich meine wirklich ehrlich, dann mache ich das gerne!“ Er hörte sich meine Ideen an, schmunzelte und gab das Ok.

Foto von der Ausstellung, bei der ich eine Rede gehalten habe, Bild: Jovan Balov

Guten Abend. Mein Vater hat mir hier den Raum gegeben etwas über Integration und Migration aus der Betroffenenperspektive zu erzählen und später auf das Gemälde meines Großvaters einzugehen, das sie hier sehen, da dieser vor kurzem gestorben ist und wir ihm diese Ausstellung gewidmet haben. Um mich vorzustellen: Ich heiße Paula, bin 22 Jahre alt, studiere Regionalstudien Asien/Afrika, lerne Chinesisch, fließend spreche ich Kroatisch und Mazedonisch, letzteres hab ich meinem sogenannten Migrationshintergrund zu verdanken.

Tatsächlich finde ich meinen Migrationshintergrund nicht immer so wichtig, er ist halt da, wie andere Großeltern im Ruhrgebiet haben. Zwar hab ich ihm viel zu verdanken, wie beispielsweise meine drei Muttersprachen (ja, ich zähle auch Deutsch zu meinen Muttersprachen) und die Möglichkeit mich in mehreren Kulturen zuhause zu fühlen. Ja, das ist identitätsstiftend, aber ich bin nicht mein Migrationshintergrund. Warum ich das erzähle? Weil ich lange dachte, dies sei kein Thema.

Als die älteren dieser Gemälde gerade fertig geworden sind und meine Freund*innen sie begutachten durften, staunten sie und fragten mich, warum mein Vater denn bei solch großartigen Werken nicht längst den Durchbruch geschafft hat. Da antwortete ich: „Weißt ja wie das ist, Künstlerberuf und so, muss sich halt beim Networking mehr anstrengen.” Einfache Formel: Jeder ist seines Glückes Schmied. Ein schönes Sprichwort, daran glaubte ich.

Letztes Jahr wurde ich ins „Erzählcafé” eingeladen, weil ich Lyrik und Prosa schreibe, Kurzfilme drehe, diese präsentieren und etwas über mich erzählen wollte. Die Moderatorin stellte mich kurz vor, natürlich erwähnte sie auch den Migrationshintergrund. Ich fand das nicht schlimm, schließlich ist das ein Teil von mir. Sie erzählte auch von meinen Eltern, die ebenfalls schon ins „Erzählcafé“ eingeladen wurden und wo die Familienporträts, die sie gerade bewundern, auch schon präsentiert wurden.

Dann fing ich an zu erzählen. Immer wieder kam die Moderatorin auf das Thema Migration zurück, ob ich nicht was über meine Eltern sagen will, wie es denn ist ein Kind zwischen den Welten zu sein und was denn Kroatien oder Mazedonien für mich bedeuten. Ich antwortete und dachte, es sei damit getan, kehrte wieder zu den Themen zurück, die zu der Zeit relevanter für mich waren.

Sie ließ mich ausreden, ging aber nicht weiter darauf ein, sondern beharrte immer wieder auf das Thema Migration und irgendwann kam der Satz: „Sie haben zwar gesagt, dass Ihr kultureller Hintergrund momentan nicht so die große Rolle für sie spielt, aber sagen Sie doch bitte noch was dazu…” Ich gab mich geschlagen und erzählte ihr, was sie hören wollte. In einer fünf-Minuten-Schleife kehrte sie immer wieder auf das Thema zurück. Irgendwann waren wir beim Thema Deutsch-Türk*innen und Rassismus angelangt: Dass wir ja alle etwas dagegen tun müssen und ob ich dazu nicht etwas sagen kann. Ich sagte: Sorry, ich bin weiß und dadurch privilegiert. Ich habe nicht dieselben Diskriminierungserfahrungen wie Deutsch-Türk*innen oder Schwarze Deutsche gemacht, ich maße mir nicht an, anhand meiner Erfahrungen darüber Aussagen zu treffen.

Selbstverständlich blieb sie trotzdem bei dem Thema und es sah aus, als würde sie an das Publikum appellieren, Rassismus ernster zu nehmen. Natürlich ist das ein wichtiges Thema, aber, dass ich für eine Antirassismus-Schulung instrumentalisiert werden sollte, stand eigentlich nicht im Programm. Plötzlich, um zu beweisen, wie pro-multi-kulti sie ist, las sie ein Zitat vor: „Die Zukunft ist eine Mullatin.” Acha. Ein Wort, das eine Fremdbezeichnung ist, von der Existenz von Rassen ausgeht und zudem Esel bedeutet. Super. Das Publikum nickte gerührt. Als kreativer-weise wieder das Thema Migration angesprochen wurde, erwähnte die Moderatorin, dass bei der Integrationspolitik in Deutschland doch mächtig was schief läuft. Leider war ich zu sehr mit desillusionieren beschäftigt, dass ich nicht die Kraft hatte aufzustehen und zu sagen: „Ja, es läuft viel schief, wie zum Beispiel diese Veranstaltung!”

Ich war mir bis dahin auch nicht sicher, wie ich die Situation genau einordnen sollte. Doch dann outete sich die Dame endgültig und mir war klar, dass meine Bauschmerzen berechtigt waren: Dass Sie mich nämlich mit Absicht ausgesucht hat, um das Bild von Migrant*innen aufzubessern. Ach, darum geht es hier! Seht her, Leute: Paula, das Beispiel für gelungene Integrationspolitik! Migrantenkinder können es ja doch zu was bringen! Jetzt habt ihr sicher weniger Vorurteile!  Mir wurde schlecht.

Zuhause versuchte ich diese Gefühle zu verdrängen, immerhin bekam ich doch ein gutes Feedback zu meiner Lyrik, sie schien ihnen wirklich zu gefallen… auch wenn die Moderatorin zugegeben hat, dass meine Migrationsgeschichte entscheidend dafür war, dass ich überhaupt vortragen durfte. Ging es also wirklich um mich bei dieser Veranstaltung?
Wie wäre es mit einem „Erzählcafé“, in dem Teilnehmer*innen der Raum gegeben wird offen über ihre Migrationsgeschichte und Erfahrungen zu erzählen, ohne zu insistieren, dass sie davon erzählen und ohne sie darauf zu reduzieren? Nur so’n Vorschlag…

Ich sprach mit meinem Vater darüber und war nicht verwundert, dass er von ähnlichen Erfahrungen im „Erzählcafé“ berichtete, unser Fazit ließe sich so zusammenfassen: „So sind eben viele Deutsche, es mildert ihr Gewissen, wenn sie sagen können, sie haben etwas gegen Diskriminierung getan, ohne wirklich etwas gegen Diskriminierung tun zu müssen.”
Die Erfahrung leitete mehrere Denkprozesse ein. Mir wurde klar, dass die Formel: „Jeder ist seines Glückes Schmied” nicht ganz aufgehen kann, weil manche Menschen gleicher sind als andere… aber das ist eine andere und schwierige Frage, bei der Leute schnell aufspringen, um das tolle Deutschland, in dem es ja keine Diskriminierung mehr gibt, zu verteidigen. Natürlich wird nur nach Qualität gegangen, is´ doch klar!

Ich begann mich zu fragen, was das überhaupt bedeuten soll, Integration, und habe nun meine Definition gefunden. Ich war integriert, weil ich auf die Lehrer*innen gehört habe, die mir sagten, ich müsse das doch wegstecken können: Dass ich wegstecken können muss, wenn z. B jemand nach wiederholter Kritik nicht einsehen will, dass es Jugoslawien nicht mehr gibt und mich jedes Mal nach meinen Großeltern in Jugoslawien fragt, wenn jemand erzählt wie eklig und schmutzig es im Balkan ist, weil er einmal mit dem Reisebus durch eine Stadt gefahren ist, wenn jemand fragt, wie es denn bloß meiner Oma in Kroatien geht, wie denn da die Situation ist… wegen Kosovo und so, wenn ich davon erzähle, was in Mazedonien oder Kroatien als „primitiv” gilt und hören muss „Was, die Kroaten meinen bestimmen zu dürfen, was primitiv ist?”, wenn der Lehrer seiner Klasse erklärt, Kroatien sei ja der bessere Balkan, damit alle Schüler*innen früh lernen, dass der Balkan, außer Kroatien, defizitär ist und Westeuropa bestimmen darf, was „besser“ ist.

Integriert bin ich, wenn ich wegstecken kann, dass mich jemand als Z.-Wort bezeichnet oder mich jemand fragt, woher das denn kommt, dass mein Vater „so dunkel” ist, ob er denn Muslim sei. Wenn ich verinnerlicht hab, dass ich nicht beklagen darf, dass der Balkan als das „andere Europa“ konstruiert wird, dass ich mich nicht darüber aufregen darf, wie der Balkan hierzulande repräsentiert wird, dass nur von Krieg (der natürlich noch immer andauert), Armutsmigration und ESC-Songs berichtet wird… dann bin ich integriert.

Wenn ich das alles wegstecken kann, während die Lehrer*innen die Plakette „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage” über dem Sekretariat polieren, wenn ich der Logik folge, dass das mein Problem ist, wenn ich diskriminiert werde und es okay ist, dass das nie thematisiert wird, wenn ich es damit rechtfertigen kann, dass das nur von Unwissenheit kommt oder es nur an der Generation liegt. Wenn ich all das geschluckt habe, dann bin ich integriert. Mach ich den Mund auf, wehr ich mich dagegen, dann bin ich überempfindlich, irrational, deutschen-feindlich oder verstehe keinen Spaß. Wenn ich mich als Folge davon mit Menschen zusammentue, die mich verstehen und ähnliche Erfahrungen gemacht haben, dann schütteln selbsternannte Expert*innen besorgt ihre Köpfe, warum die denn bloß unter sich bleiben, diese Problemkinder!

Wenn so eure Integration aussieht, dann kann sie mir gestohlen bleiben! Ich habe zu lange den Mund gehalten. Ich habe mich, für meinen Teil, genug integriert. Jetzt ist die Mehrheitsgesellschaft an der Reihe! Ich glaube fest daran, dass das anders geht! Warum habe ich z. B erst in der Uni kapiert, dass ich weiß bin? Warum musste uns der deutsche, weiße, männliche, kurz: objektive Geschichtslehrer den Islam erklären, während muslimische Schüler*innen vor Wut rot anliefen, anstatt diese sprechen zu lassen? Warum hab ich das Wort „Eurozentrismus“ nie in der Schule gehört? Warum wird Rassismus als ein Phänomen dargestellt, das in Deutschland, abgesehen von Einzelfällen, der Vergangenheit angehört? Warum war im Unterricht keine Zeit Kolonialgeschichte durchzunehmen? Warum wird meine Mehrsprachigkeit nur dann als Bereicherung akzeptiert, wenn mein Deutsch perfekt ist?

Ich stelle diese Fragen, weil mir hier der Raum gegeben wurde gehört zu werden. Diese Fragen sollten wir uns alle stellen! „Integrier’ dich doch“ darf nichts sein, was Migrant*innen von oben aufgezwungen wird, während oben nichts gegen Ausgrenzung und Diskriminierung getan wird! Oder nicht wirklich getan wird. Wie soll das gehen sich zu integrieren, ohne den anderen Teil der Identität aufzugeben, wenn dieser Teil nicht mitgedacht wird, sein Potential unterschätzt wird oder er auf der anderen Seite exotisiert wird?

Ich möchte darauf eingehen, was Begriffe wie „Mehrsprachigkeit“, „Bi*kulturalismus“ oder „Heimat“ für mich bedeuten, um zu zeigen, dass das für monokulturelle Menschen nicht unbedingt auf der Hand liegt. Damit will ich den Bogen spannen zu der Ausstellung, zu diesem Gemälde das meinen Großvater zeigt, das Bild, das Sie auch auf dem Flyer sehen.
Ein guter Freund hat sich neulich entschuldigt, Mehrsprachigkeit und Bi*kulturalismus unterschätzt zu haben, als ich erzählt habe, wie ich feststellen musste, dass Deutsch nicht die Sprache ist, in der ich um meinen Großvater trauern kann. Solange, wie ich auf Deutsch über ihn nachgedacht hab, war er für mich irgendwie nicht greifbar. Fing ich an auf Mazedonisch an ihn zu denken, wurde er mir mit einem Mal sehr plastisch, die Erinnerungen sehr klar und erst dann verstand ich, dass er weg war und was das eigentlich heißt, dass er weg ist, für immer.

Bi*kulturell zu sein ist eine andere Lebensrealität, in der nicht nur beschissene Erfahrungen mit der Mehrheitskultur inbegriffen sind, sondern die eigentlich eine Bereicherung ist, den Blick öffnen kann. Mein Kumpel fragte mich dann, was denn für mich „Heimat“ bedeutet. Zuerst muss ich dazu meine Lieblingsrapperin Sookee zitieren: „Berlin ist meine Heimat, was will Deutschland noch hier?!“, dem schließe ich mich an. Doch eigentlich ist „Heimat“ für mich sogar noch etwas viel konkreteres: Straßen, Küchen, Spielplätze, Märkte, Dialekte, Wohnzimmer, Tischdecken, reifes Obst, Streetart, der spezifische Geruch einer Wohnung, Bohneneintopf… Ich kann besuchte Orte und erlebte Momente benennen, die „Heimat“ für mich bedeuten, keine eindeutige Kulturzugehörigkeit oder die Idee einer Nation. Im folgenden werde ich eine Kurzgeschichte vorlesen, die eine Version von „Heimat“ zeigt.

Porträt meines Großvaters Risto Balov, gemalt von meinem Vater Jovan Balov

Ich habe sie geschrieben, da hat mein Großvater noch gelebt. Ich habe kürzlich versucht eine neue Kurzgeschichte über ihn zu schreiben, doch funktioniert das momentan nicht auf Deutsch. Interessant ist, dass ich die Kurzgeschichte verloren geglaubt hab und erst vor kurzem, nach seinem Tod wiedergefunden habe, als wollte die Kurzgeschichte erst dann gefunden werden, damit ich mich auf genau diese Weise an ihn erinnere.

Vielleicht kennen Sie ja den Roman „Die Wand“ von Marlen Haushofer. Da gibt es eine Stelle, in der die Protagonistin hinter der unsichtbaren Wand, die sie von allem abschottet, einen alten Mann am Brunnen sieht, die Hände unter dem Wasserstrahl haltend, kurz davor Wasser zu trinken. Er bewegt sich nicht, nur das Wasser rauscht: Es ist ein statisches, idyllisches Bild, wie eine Erinnerung. Die Protagonistin stellt später fest, dass dieser Mensch tot ist. So ein statisches, friedliches und sehr vertrautes Bild, das bezeichnend ist für meinen Opa, habe ich in meiner Kurzgeschichte entworfen. Das ist das Bild, das ich sehe, wenn ich mir dieses Gemälde anschaue:

Doma

Ich bin so viel herumgereist, in meinem Zimmer. Hab meine Möbel umgebaut und umgefärbt und umgestellt, verschoben, manchmal zertrümmert. Sie waren zu laut und zu kantig. Meine Bücher schnarchen oft, also hab ich sie neu sortiert, nach Alphabet.
Ich will mich neu fühlen in den vier Wänden, die schon Altersflecken haben.
Irgendwann muss ich in die Ferne reisen, vielleicht drei Blocks weiter. Da werden die Wände neu sein und porentief rein und die Möbel werden nicht mehr schreien, auch wenn es die alten sind. Die Bücher werden aus ihrem Staub erwachen.
Aber irgendwann werde ich auch wieder nach unten reisen, unten, wie man bei uns sagt, wenn man in den Balkan reist.
Dann werde ich neben meinem Großvater sitzen, dem ich schon wieder neue Spielkarten gekauft habe und die er wieder mal ablehnt. Er hat seine eigenen, die er seit dreißig Jahren benutzt und die so vergilbt sind wie seine Hände. Er poliert jede Karte einzeln, dann mischt er sie und legt sie aus, um Solitär zu spielen. Ich sehe eine Pik-Sieben, die zu einer Herz-Acht passt, aber er übersieht sie. Es ist der gleiche Blick beim Kartenspielen wie immer, er übersieht nur öfter.
Dann erzählt er mir, wie ich als Kind gegen die Kante da links gelaufen bin und wie auf dem Schrank noch immer die Spielzeugkiste liegt.
Und sie liegt da noch immer und auch der Schrank ist der Selbe und die Kante. Der Teppich ist noch immer altmodisch und der Glastisch noch immer zerbrechlich. Am Kühlschrank ist mein Kaugummiaufkleber und an der Tapete Gekritzel.
Hier schreien die Möbel nicht. Sie umzustellen würde sie töten. Sie scheinen Geschichtenerzähler zu sein, so wie die Bücher und Fotoalben, die schnarchen.
Dann fühl ich mich daheim in den vier Wänden, die von Altersflecken übersät sind.
Und auch meine Großmutter mit ihrem großen Wäschekorb ist die Selbe.
Sie geht bloß langsamer.


Nachtrag:
Nach der Rede bekam ich vom Publikum sehr gutes Feedback, oft sprachen mich Personen an, bedankten sich, lobten mich und ich schien einen Raum geöffnet zu haben: Mehrere Leute kamen auf mich zu, um mir von ähnlichen Erfahrungen zu erzählen, vertrauten mir sogar private Probleme an oder begannen mit mir ein Gespräch über die Vorzüge von Mehrsprachigkeit, bei dem wir oft die Sprache wechselten. Im Gästebuch der Ausstellung schrieb eine Person: „Über den Text Ihrer Tochter werde ich noch einmal nachdenken“ und eine Frau kam auf mich zu mit der Frage, ob sie den Text für eine andere Ausstellung verwenden dürfe.

Ich war also ziemlich zufrieden und gut drauf, nichts hätte an dem Abend meine Laune vermiesen können. Dennoch gab es Gespräche, die mich nachdenklich zurück ließen. Es kam ein älterer Herr auf mich zu, der damit begann sich zu entschuldigen, weil „als Deutscher muss ich mich ja immer entschuldigen“ und mir mit großen Gesten beteuerte, dass er mich auf keinen Fall provozieren wollte, sondern nur ein paar Fragen hatte, weil er nicht wirklich verstanden hatte, was mein Punkt war. Ich versuchte ihm den Punkt nahezubringen, aber er stellte immer wieder die Frage, ob das denn jetzt hieße, dass er nichts mehr fragen dürfe. Ich hoffe, dass er am Ende verstanden hat, dass das Fragen an sich kein Problem ist, sondern: Was wird gefragt und wie wird gefragt. Fragst du mich „Wo kommst du her?“ und bist mit der Antwort „Berlin“ nicht zufrieden, weil du die „richtige Herkunft“ hören willst, wundere dich nicht, dass ich dich ab dann scheiße finde.

Du darfst gerne fragen, was ich mit Mazedonien am Hut hab, wenn wir auf das Thema kommen, ich z.B gerade von meiner Oma oder vom Urlaub erzähle, aber wenn du keine Ahnung von Ex-Jugoslawien hast, dann überleg dir, ob du mich wirklich fragen willst, wie es denn meiner Oma in Kroatien geht und „wie denn da gerade die Situation so ist“. Antworte ich darauf „Hä, wie soll denn die Situation dort sein?“ sollten bei dir die Alarmglocken losgehen, dass du vielleicht gerade dein Bild von Ex-Jugoslawien aus den Medien ausgepackt hast, das vom Westen konstruiert wird, damit sich der Westen überlegen fühlen kann, siehe Balkanismus.

Werde ich pissig, frag mich lieber warum anstatt zu sagen „Ich will da ja sowieso nie hin, also muss ich darüber nichts wissen.“ Erst mit Stereotypen um sich schmeißen und dann ne Mauer hoch ziehen… Frag mich lieber, was es damit auf sich hat, mit dem „Krieg und Kosovo und so“ anstatt davon auszugehen, dass meine Oma vor Bomben wegrennt und sich in einem Bunker von Dosenfutter ernährt, nur weil sie „dort unten“ wohnt. Ich hab nichts gegen Neugier! Ich hab nur was gegen Menschen, die nicht reflektieren, dass Fragen nicht frei von Vorurteilen sind.

Zurück zum Text: Der ältere Herr erzählte mir von seinen Erfahrungen als weißer, deutscher Tourist im Ausland, dass er dort öfter „Nazi“ geschimpft wurde und Deutschland oft auf die Nazi-Zeit reduziert wird. Auch wenn ich ihm die Erfahrungen nicht abspreche und das sicher nervig ist, es ist ein großer Unterschied! Dieser Vergleich wird oft verwendet, um Rassismus zu relativieren, weil „das ja überall passiert“, dabei ist es doch etwas anderes, ob ich ein mal jährlich als Touri ein paar Vorurteile im Urlaub abkriege, von Leuten, die ich nie wieder sehe, dann wieder nach hause fahre und die Welt wieder in Ordnung ist, oder ob ich dort, wo ich zuhause bin, immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert werde, ich als anders markiert werde, meine Identität an den Rand gedrängt wird.

Als weiß-deutsche*r Touri ist man trotz derartig nerviger Erfahrungen in einer privilegierten Position, denn man leidet, auch wenn man länger im Ausland ist, nicht unter struktureller Diskriminierung, der Integrationspolitik, Racial profiling, Marginalisierung, der fehlenden Repräsentation etc… Nach dem Gespräch fragte er mich, ob ich denn plane irgendwann „zurück zu kehren“. Er merkte tatsächlich nicht, was an dieser Frage schlimm war. Er hatte anscheinend nicht verstanden, dass hier mein Zuhause ist und ich demnach nirgends zurück kann. Das Label „Ausländerin“ wäre nur ein bisschen schlimmer gewesen.

Später sprach mich eine Frau an, die mit ca. 20 von Skopje nach Berlin gezogen ist. Sie schilderte ähnliche Vorurteile und erklärte mir begeistert, was ihr die mazedonische Sprache bedeutet. Später erzählte sie von einer Situation, in der ihr Chef alle nicht westlichen Migrant*innen in die gleiche Schublade stecken wollte, vor allem setzte er Türk*innen und Mazedonier*innen gleich. Um da wieder raus zu kommen und einen entscheidenden Unterschied zu benennen, nannte sie die Soli-Demos zu Taksim in Berlin. „Wir sind doch ganz anders als die Türken! Ein Mazedonier würde doch niemals in Berlin gegen etwas demonstrieren, das in Mazedonien passiert! Sollen die Mazedonier in Mazedonien doch dagegen protestieren! Was hat denn Berlin damit zu tun?“

Darauf konnte ich zunächst nichts antworten, irgendwann sagte ich ihr, dass solche Soli-Demos nicht nur von Migrant*innen organisiert und besucht werden und ich mich auch an eine Demo von Mazedonier*innen erinnere, doch das war nicht mein eigentliches Problem.
Mich wundert diese Hierarchisierung von Migrantengruppen, die Migrant*innen selbst reproduzieren. Da gibt es also die guten Migrant*innen, die extra in ihr Herkunftsland fahren, um gegen die dortige Politik zu demonstrieren, wenn sie überhaupt demonstrieren und die doofen Migrant*innen, die gar nicht wirklich in Deutschland angekommen sind und deshalb hier für die Rechte dort demonstrieren, anstatt sich damit zu beschäftigen, was in Deutschland passiert. Mit anderen Worten: Es gibt die guten Migrant*innen, die sich integrieren und die doofen, die dies nicht tun, voilà: genau die gleiche Logik!

Warum sich darum streiten, wer die „bessere“ Migrantengruppe ist, wenn das nur der  einschränkenden Integrationspolitik entgegen kommt? Denn genau die erschafft die Kategorien, was „besser“ und „angepasster“ ist. Auf diese Weise kann es zwar irgendwann mehr Migrantengruppen geben, die weniger Diskriminierung erfahren, jedoch nicht, weil mit Integrationszwang, Rassismus, Anti-Romaismus, Islamophobie, Exotisierung etc. nun endlich Schluss ist, sondern weil sich diese Gruppen im Vergleich zu anderen, nach dem deutschen/westeuropäischen Maßstab, integriert haben! Und damit haben nur wenige ein Privileg und es wird immer Verlierer*innen geben. Lieber solidarisch gegen Ausgrenzung und für Anerkennung kämpfen, anstatt sich um den Thron der „besten“ Migrantengruppe zu streiten!